Bild nicht mehr verfügbar.

Die betroffenen Babys haben eine normale Hand, bei der anderen gibt es keine Finger, der Handteller ist nicht ausgeprägt. Das Ministerium in Nordrhein-Westfalen will jetzt alle Kliniken abfragen.

Foto: Getty / Antonio Esplugues

An die Worte, die sie vernahm, als ihr Sohn Leon im April im nordrhein-westfälischen Dorsten auf die Welt kam, erinnert sich Laura May noch genau. "Die Hand fehlt", hörte sie eine Ärztin sagen.

"Ich wusste zunächst gar nicht, was sie meinte", schildert die junge Frau der Funke-Mediengruppe diese Minuten und den Schock. Schließlich hatte sich während der Schwangerschaft bei keinem Vorsorgetermin irgendeine Auffälligkeit gezeigt. Und auch nach ersten Untersuchungen des neugeborenen Leon war klar: Der Bub ist gesund, es fehlt ihm aber die rechte Hand. Finger und Handteller sind nicht ausgeprägt.

Leon ist nicht das einzige Kind, dessen Fehlbildung derzeit in Deutschland diskutiert wird. Immer mehr Familien melden sich und erklären, auch ihre Kinder seien betroffen.

Hebamme macht Fälle öffentlich

Die Kölner Hebamme Sonja Liggett-Igelmund hat die ersten Fälle öffentlich gemacht. Sie berichtete im Boulevardblatt "Express" von drei Babys, die innerhalb von nur zwölf Wochen im Sankt-Marien-Hospital Gelsenkirchen-Buer mit Fehlbildungen an den Händen zu Welt gekommen waren. Zugleich bat sie weitere betroffene Eltern, sich zu melden und erklärte: "Da Missbildungen bei Neugeborenen von den Krankenhäusern nicht zentral gemeldet werden und keine Klinik von der anderen weiß, ist es derzeit unklar, ob der Fall nicht weitaus größere Dimensionen in Deutschland hat – und Gefahr im Verzug ist."

Nach ihren eigenen Angaben haben sich bei ihr mittlerweile mehr als 30 Eltern gemeldet, deren Kinder in den vergangenen drei Jahren zur Welt kamen. Medien in Nordrhein-Westfalen berichten von sechs dokumentierten Fällen in Deutschlands größtem Bundesland, auch im thüringischen Mühlhausen sind mittlerweile zwei Fälle bekannt.

Auffällig kurzer Zeitraum

Das Sankt-Marien-Hospital in Gelsenkirchen erklärt auf seiner Website: "Fehlbildungen dieser Art haben wir viele Jahre lang nicht gesehen. Das mehrfache Auftreten jetzt mag auch eine zufällige Häufung sein. Wir finden jedoch den kurzen Zeitraum, in dem wir diese Fälle sehen, auffällig." Die Klinik weist zudem darauf hin: "Alle Familien wohnen im lokalen Umfeld. Wir konnten keine ethnischen, kulturellen oder sozialen Gemeinsamkeiten der Herkunftsfamilien sehen."

Die Fälle erinnern an eine Häufung von Fehlbildungen in Frankreich. Dort kamen in drei ländlichen Regionen (zwei im Westen des Landes, eine im Osten) mindestens 25 Kinder mit Anomalien an den Händen zur Welt.

Keine Klärung in Frankreich

Eine Erklärung gibt es bis heute nicht. Fest steht, dass die Mütter keinen Alkohol getrunken oder Drogen sowie Medikamente genommen haben. Auch genetische Erkrankungen wurden ausgeschlossen. Immer wieder findet sich der Hinweis, dass alle Mütter während der Schwangerschaft in Dörfern lebten, die von Raps-, Sonnenblumen- und Maisfeldern umgeben sind und dass in der Landwirtschaft verwendete Pestizide eine Rolle spielen könnten.

Bei der Aufklärung in Deutschland soll die Berliner Charité helfen. Diese äußert sich zurzeit noch zurückhaltend: "Der derzeitige Informationsstand erlaubt weder der Charité noch insbesondere der Embryonaltoxikologie eine inhaltliche Stellungnahme zu diesem Thema."

Kein zentrales Melderegister

Mediziner weisen auch darauf hin, dass Fehlbildungen an Armen und Beinen während der Schwangerschaft durch Infektionen auftreten können. Möglich, aber ebenso selten sei, dass Arme und Beine während der Schwangerschaft durch die Nabelschnur abgeschnürt werden. Es könnte sich bei den Fällen in Deutschland aber auch um eine zufällige Häufung handeln. Ein zentrales Melderegister für Neugeborene mit Fehlbildungen gibt es in Deutschland nicht. (Birgit Baumann aus Berlin, 16.9.2019)