Ulrich Brand vom Institut für Politikwissenschaft der Uni Wien ist einer der Kritiker aktueller österreichischer Umweltpolitik.

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Die Öffentlichkeit wünscht sich von der österreichischen Politik mehr Maßnahmen gegen den Klimawandel. Deren Vertreter schützen aber "lieber ihre eigene Klientel als das Klima", erklärten Wissenschafter bei einer Pressekonferenz gestern in Wien. Deshalb ähnle die heimische Klimapolitik derzeit eher einer Medienkampagne als couragiertem Klimaschutz, kritisierten sie.

Nach dem Motto "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass" würden zwar da und dort Anreize für klimafreundliche Maßnahmen geschaffen, aber gesellschaftspolitisch fahre man großteils in die falsche Richtung, sagte Ulrich Brand vom Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien. Zum Beispiel werde der Individualverkehr "ganz systematisch von der Politik gefördert". So hätten trotz aller technischen Verbesserungen die Treibhausgasemissionen aus dem Verkehr seit 1990 (dem Bezugsjahr für die geplante Reduktion) um 73 Prozente auf 23,7 Millionen Tonnen zugenommen, anstatt zu sinken.

Ernährung als Klimathema

Auch im Ernährungssektor sei man säumig, sagte Willi Haas vom Institut für Soziale Ökologie der Universität für Bodenkultur (Boku) Wien. In Österreich essen die Männer im Schnitt dreimal so viel Fleisch, wie Experten für gesund befinden. Würde der Fleischkonsum auf die Hälfte reduziert, hätte Österreich sieben Millionen Tonnen weniger Treibhausgasemissionen (acht Prozent) und ein paar Hunderttausend vorzeitige Todesfälle weniger. Obwohl das für die Bevölkerung eine Win-win-Situation wäre, komme das Thema Ernährung etwa im von der EU geforderten Nationalen Energie- und Klimaplan nicht einmal vor – abgesehen davon, dass man sich dort um "Lebensmittelabfälle" sorgt.

Hinter den Kulissen

Seit der Schaffung eines Umweltministeriums im Jahr 1972 habe man die Umweltpolitik vor allem dort forciert, wo sie der Wirtschaft nützt, etwa bei Biotreibstoffen, sagte Haas. Als "Lernfortschritt" in der Politik habe sich seither nicht das Wissen darüber vermehrt, wie man das Klima schützt, sondern jenes, wie man die eigene Klientel vor Klimaschutzmaßnahmen schützt. "Zu Beginn gab es durchaus griffige Formulierungen und Vorschläge, doch inzwischen wurden sie alle weichgespült", so Haas. So könne man in der Öffentlichkeit ein schönes Bild vom Klimaschutz zeichnen, während man hinter den Kulissen "keine großen Wellen" verursacht.

Die Öffentlichkeit werde von klimarelevanten Entscheidungen immer mehr ausgeschlossen, sagte Melanie Pichler vom Institut für Soziale Ökologie der Boku. Dafür macht sie vor allem die türkis-blaue Regierung verantwortlich. So gebe es mit dem neu verabschiedeten Standortentwicklungsgesetz für "standortrelevante Projekte" wie eine dritte Flughafenpiste in Wien-Schwechat oder große Autobahnprojekte beschleunigte Genehmigungsverfahren.

"Antwort auf Proteste"

Solche Vorhaben würden klimaschutzrechtlich automatisch erlaubt, wenn die Umweltverträglichkeitsprüfungen nicht innerhalb eines Jahres abgeschlossen sind, sagt Pichler. Was "standortrelevant" ist, entscheide ein Beirat mit großer Beteiligung aus der Wirtschaft, aber ohne die lokale Bevölkerung, ohne Wissenschafter und ohne NGOs. Pichler: "Es ist unschwer zu erkennen, dass dies eine Antwort auf viele öffentliche Proteste gegen solche Projekte in den vergangenen Jahren war." (APA, red, 17.9.2019)