Der physikalische Effekt, der die Bildung von Wassertropfen hervorbringt, spielt auch beim Knochenwachstum eine Rolle.

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Wien/Potsdam – Bevor sie zur festen Stütze unseres Körpers werden, haben Knochen ganz andere Eigenschaften, berichtet ein Forschungsteam mit österreichischer Beteiligung im Fachmagazin "Science Advances". Während des Wachstums ähnele das Knochengewebe auf eine gewisse Weise eher einer Flüssigkeit: Unter bestimmten Bedingungen bildet es nämlich Strukturen, die an Oberflächen von Wassertropfen erinnern.

Generell ist Knochengewebe trotz seiner Festigkeit einem ständigen Wandel unterzogen – so passt es sich etwa über längere Zeiträume hinweg an höhere körperliche Belastungen an. Wie sich das Gewebe verhält, wenn man es auf unterschiedlich gekrümmten Strukturen wachsen lässt, hat ein Forschungsteam um John Dunlop, zuvor Gruppenleiter am Max Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam und nunmehr Biophysik-Professor an der Universität Salzburg, näher untersucht.

Faktor Oberflächenspannung

Die Forscher interessierten sich für die Frage, wie sich Knochengewebe am besten züchten lässt und wie es dem Körper möglich ist, dass verletzte Stellen wieder in der gleichen Form mit Gewebe nachbesetzt werden. Sie führten Experimente durch, bei denen sich zeigte, dass auf stark konkav geformten Oberflächen über rund 50 Tage hinweg mehr Gewebe wuchs als auf weniger stark gekrümmten Strukturen.

Die Zellverbände reagierten demnach auf die Beschaffenheit der Oberfläche, auf der sie wuchsen. Und die Art und Weise, auf die sie das tun, erinnert an den Effekt der Oberflächenspannung von Flüssigkeiten. Es zeige sich also, "dass Zellen Oberflächenenergie für die Formbildung nutzen", so der österreichische Physiker und Materialforscher Peter Fratzl, Direktor am Potsdamer Max-Planck-Institut und Mitautor der Studie.

Nutzung physikalischer Prinzipien

Zurückzuführen sei das auf einen biologischen Rückkopplungsmechanismus, der auf mechanischen Reizen beruht. Es zeigte sich, dass die Zellen aktiv Kraft aufwenden müssen, um jene Oberflächenspannungen aufzubauen, die für das flüssigkeitsähnliche Verhalten verantwortlich sind. Hemmten die Wissenschafter diesen Mechanismus, sah das Bild anders aus. "Dies legt nahe, dass die mechanische Signalübertragung zwischen Zellen und ihrer physischen Umgebung zusammen mit der kontinuierlichen Reorganisation von Zellen und Matrix ein Schlüsselprinzip für die Entstehung der Gewebeform ist", so der Erstautor der Studie, Sebastian Ehrig.

"Unser Modellsystem zeigt, dass knochenartige Strukturen die physikalischen Prinzipien, nach denen sich Flüssigkeiten verhalten, dazu nutzen können, komplexe dreidimensionale Strukturen aufzubauen", schreiben die Forscher in der Arbeit. Ihre Erkenntnisse könnten neue Einblicke in die Organentwicklung, den grundlegenden Ablauf von Heiligungsprozessen oder in Versuche, gezielt komplexe biologische Strukturen aufzubauen, mit sich bringen. (APA, red, 21. 9. 2019)