Wien – Marianne* steht vor dem Kühlregal und überlegt, wofür sie sich entscheiden soll. Schließlich landet eine Packung Schinkenspeck in ihrem Wagerl. Das Angebot ist begrenzt, zur Auswahl standen eine Handvoll andere Wurst- und noch weniger Veggie-Produkte. 80 Cent muss sie für die Packung bezahlen.

Seit zwölf Jahren ist Marianne, die alleine lebt, in Pension. Das Geld reicht nur knapp zum Leben. Seit vier Jahren kommt sie deshalb in den Sozialmarkt im siebenten Wiener Gemeindebezirk. "Ich bin an das Sparen schon von meinen Eltern gewöhnt worden", sagt sie. "Ich koche je nachdem, was es zu kaufen gibt."

Sie sei es von klein auf gewöhnt, sparen zu müssen, sagt Marianne.
Foto: Regine Hendrich

20-jähriges Bestehen

Der vom Hilfswerk betriebene Markt ist Teil der österreichweiten Vereinigung der Sozialmärkte, von denen 35 in ganz Österreich existieren. Menschen mit geringem Einkommen können dort Lebensmittel und andere Waren zu günstigen Preisen kaufen.

Gespendet werden sie von Partnerbetrieben aus dem regulären Handel, die die Waren nicht mehr verkaufen: Zumeist haben die Lebensmittel das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten, sie sollen aber noch genießbar sein. Etwa 30.000 Menschen kauften im Jahr 2018 regelmäßig in einem Sozialmarkt ein, 100.000 Menschen sind registriert. Heuer feiert die Initiative ihr zwanzigjähriges Bestehen.

Foto: Regine Hendrich

Einkommensgrenzen

Wer im Soma Neubau einkaufen will, muss seinen Hauptwohnsitz in Wien haben und darf gewisse Einkommensgrenzen nicht überschreiten. Als Einzelperson liegt diese bei 1.200 Euro monatlich, als Paar bei 1.800 Euro. Für jedes Kind kommen 370 Euro hinzu. Staatsbürgerschaft oder Aufenthaltstitel sind egal. Erfüllt man diese Voraussetzungen, kann man eine Einkaufskarte beantragen. Um maximal 30 Euro pro Woche darf man als Einzelperson einkaufen.

Auch wenn die Scham, in einem Sozialmarkt einzukaufen, in den letzten Jahren abgenommen habe, sei die Überwindung für viele immer noch groß, sagt Bernardo Radosavljevic, der seit elf Jahren hier arbeitet. "Am Anfang des Monats kommen immer mehr als gegen Ende, wenn das Geld noch knapper wird", sagt er. Die Kunden seien jedenfalls divers: von Pensionisten über Studenten bis zu Alleinerziehenden. Auch bei vielen Berufstätigen reiche das Geld nicht aus. "In den letzten Jahren ist der Andrang gestiegen", sagt Radosavljevic.

Der Sozialmarkt in Wien-Neubau ist laut Betreibern immer gut besucht. Waren würden selten übrig bleiben.

Der Sozialmarkt in Neubau wird als sozioökonomischer Betrieb geführt und finanziert sich laut Eigenangaben zu 70 Prozent aus AMS-Förderungen. Neben einem Kernteam, zu dem auch Radosavljevic gehört, arbeiten auch Langzeitarbeitslose für ein paar Monate dort, bevor sie anschließend auf den ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden sollen.

Lob und Kritik

Anlässlich des runden Geburtstags hat die Vereinigung der Sozialmärkte eine Studie in Auftrag gegeben, die die gesellschaftlichen Wirkungen der Somas untersuchte. Forscher der Wirtschaftsuniversität Wien bescheinigen der Initiative, "mit relativ wenig Investitionen einen positiven Nutzen für eine sehr große Gruppe an KundInnen" zu schaffen. Dabei wurde versucht, neben den finanziellen auch die sozialen Wirkungen der Somas zu messen. Das Ergebnis: Jeder in die Sozialmärkte investierte Euro erzeuge 8,5 mal so wertvolle gesellschaftliche Wirkungen wie Investitionen.

Die Sozialmärkte wurden aber immer wieder auch mit Kritik konfrontiert: etwa damit, dass verschenkte Lebensmittel erneut zum Verkauf angeboten werden oder Aufgaben des Sozialstaats ausgelagert würden. In der Regel wird etwa ein Drittel des handelsüblichen Marktpreises für die Produkte verlangt. Gerhard Steiner, Präsident der Soma-Vereinigung, spricht von einem "symbolischen Beitrag", der dazu beitragen solle, dass Kunden sich nicht als Bittsteller fühlen.

Mohammed ist Kunde des Sozialmarkts. In einem normalen Supermarkt würde er sich nicht alle Produkte leisten können.
Foto: Regine Hendrich

Die Regale sind am Vormittag noch recht voll: Schwarzbrot oder Baguette gibt es etwa um 30 Cent, ein Viererpack Energydrinks um 80 Cent, eine Packung Osterhasen um zwei Euro. Hygieneprodukte oder Schultaschen sind deutlich teurer, aber noch unter dem regulären Marktwert. Kein Wagerl, das durch einen der vier Gänge des Soma Neubau geschoben wird, ist bis oben angefüllt. Die meisten Kunden stehen lange vor den Regalen, wiegen Produkte gegeneinander ab, bevor sie sich entscheiden.

Auch Mohammed* zieht sein gelbes Einkaufswagerl langsam durch einen der vier Gänge der ehemaligen Lagerhalle. Seit drei Jahren ist der Syrer in Wien, mit seiner Frau und seinem sechsjährigen Sohn hierher geflohen. Er ist auf Jobsuche. Sein Mathematik-Abschluss von der Universität in Aleppo sei in Österreich zwar offiziell anerkannt worden, aber "die Firmen, bei denen ich mich bewerbe, zweifeln trotzdem an meinen Fähigkeiten", sagt er. Auf den Sozialmarkt seien er und seine Familie finanziell angewiesen. (Vanessa Gaigg, 19.9.2019)