Gebirgsforscher aus aller Welt trafen sich in Innsbruck und erkundeten dabei auch das Halltal und seine Bergbaugeschichte.

Foto: Florian Lechner

Am so genannten Fluchtsteig stößt man heute noch auf die Spuren des Salzabbaus. Im Bild Überreste der Sole-Pipeline.

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Auch die Ladhütten entlang der Straße ins Tal sind Zeugen der längst vergangenen Bergbaugeschichte.

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Bis heute sind Naturgefahren im Halltal ein großes Thema. Am Bettelwurfeck drohen im Winter gewaltige Lawinen, im Sommer bei Starkregen Muren.

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Der Eingang zum Margarethe Stollen, von dem aus Hall und Absam mit Wasser versorgt werden.

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Bis zu zehn Jahre lang sickert das Niederschlagswasser durch hunderte Meter Wettersteinkalk im Bettelwurfmassiv, der als gigantischer Filter dient, bevor es im Stollen in bester Trinkwasserqualität aus dem Fels rinnt.

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Absam – Es gilt, auf die Details zu achten. Am sogenannten Fluchtsteig ins Halltal finden sich immer wieder Hinweise auf die jahrhundertealte Bergbaugeschichte der Region. Was auf den ersten Blick wie zur Wegabsicherung verbaute, alte Baumstämme wirkt, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als Überbleibsel der kilometerlangen Holzpipeline, über die hier einst die Sole zu Tale transportiert wurde. Auf dem steilen Steig auf Höhe des Bettelwurfecks finden sich immer wieder Überreste dieser Leitung. Über 700 Jahre wurde im Halltal Salz abgebaut. Das weiße Gold machte die Stadt Hall zum wirtschaftlichen Zentrum des Inntals. Das nahe Innsbruck war über lange Zeit nur ein Nebenschauplatz.

Sogar die Gründung der Universität Innsbruck, die heuer ihr 350-jähriges Bestehen feiert, geht auf diesen Salzabbau zurück. Kaiser Leopold I. gestand 1669 nach langem Bitten den Tirolern ihre eigene Alma Mater zu. Um deren Finanzierung zu sichern, wurde eine eigene Steuer auf das Salz aus dem Halltal, der sogenannte "Haller Salzaufschlag", eingehoben.

Größtes Gebirgsforschertreffen

An eben dieser Universität fand vergangene Woche die International Mountain Conference 2019 statt. Mehr als 500 Gebirgsforscherinnen und -forscher aus aller Welt versammelten sich zum Gedanken- und Erfahrungsaustausch. Als Höhepunkt dieses weltweit größten Treffens seiner Art luden die Veranstalter zu einer gemeinsamen Exkursion ins Halltal, das ob seiner bewegten Geschichte zu den spannendsten Hochtälern der heimischen Alpen zählt.

Im Mittelpunkt der Wanderung stand die Bergbaugeschichte sowie die heutige Nutzung zur Wasserversorgung. Schon auf dem Weg ins Hochtal stießen die Forscher immer wieder auf Zeugnisse dieser Geschichte. Matthias Breit, Kurator des Absamer Gemeindemuseums, bot den Gästen Wissenswertes als Wegzehrung. Etwa zu den sogenannten Ladhütten. Denn was Wanderer als ausgediente Hütten wahrnehmen, sicherte über Jahrhunderte die Logistik für den Bergbau. Noch heute stehen diese steinernen Zeugen entlang des Weges ins Tal.

Relikte des Salzbergbaus

Während das in der Sole gelöste Steinsalz über die hölzernen Rohrleitungen ins Tal abtransportiert wurde, musste alles, was zu seiner Gewinnung nötig war, mühsam über den extrem steilen, kilometerlangen Weg herangekarrt werden. Die Steigung überforderte selbst die Ochsengespanne, die man an diesen Ladhütten wechselte. Außerdem wurde dort die Durchflussmenge der Pipelines kontrolliert. Nahm diese zwischen zwei Ladhütten ab, deutete dies auf ein Leck im Rohrsystem hin.

Im Jahr 1270 trieben die Bergleute weit drinnen im von schroffen Gipfeln flankierten Talschluss auf 1600 Metern Seehöhe den Obernbergstollen als Ersten in den Fels. Noch heute zeugen Flurnamen wie das Stempeljoch von diesen Anfängen. Stempel wurden jene Holzstämme genannt, mithilfe derer die Stollen abgestützt wurden. Das zum Bergbau nötige Know-how lieferte ein Ingenieur aus Oberösterreich. "Das war somit eine frühe Form von Technologietransfer", erklärte Kurator Breit.

Kampf gegen Naturgewalten

Bis zur Stilllegung des Salzbergbaus im Jahr 1967 wurden insgesamt acht Hauptstollen in den Berg getrieben. In der Hochblüte der Steinsalzgewinnung waren mehr als 500 Männer im Alter zwischen neun und 50 Jahren im Halltal beschäftigt. Einen nicht unwesentlichen Teil ihrer Arbeit machte das Freihalten der von Lawinen und anderen Naturgefahren bedrohten Wege aus. Mit Erfolg: Es gab in der Geschichte des Halltaler Bergbaus keine einzige Woche, in der die Produktion ruhte.

Die Naturgewalten zeichnen bis heute das Tal. Kurz vor der zweiten Ladhütte zeugen durch Lawinen abgerissene Bäume vom heurigen schneereichen Winter, der den Zugang zum Halltal über Wochen unmöglich gemacht hatte. An derselben Stelle droht im Sommer die Bettelwurfmure. Bei Starkregen herrscht hier Lebensgefahr. Riesige Findlinge in der Schotterreise lassen erahnen, welche Kräfte dabei wirken.

Montan- und Landwirtschaft gleichbedeutend

Welche Rolle der Bergbau für die Zivilisationsgeschichte solcher Gebirgstäler spielt, erklärte Gert Goldenberg vom Forschungszentrum HiMAT (History of Mining Activities in the Tyrol and adjacent areas) der Uni Innsbruck, das 2007 eingerichtet und aus einem mit Mitteln des Wissenschaftsfonds FWF geförderten Spezialforschungsbereichs hervorgegangen ist. "In vorgeschichtlicher Zeit war der Bergbau – neben der Landwirtschaft – ein bedeutender Motor für die Erschließung und Besiedlung alpiner Regionen", sagte Goldenberg.

Zu den Blütezeiten der Metallgewinnung waren Prospektoren unterwegs, die nach Lagerstätten suchten. Konnte ein ergiebiges Gebiet neu erschlossen werden, gab es einen Zustrom von Bergleuten. Neben der Errichtung der benötigten Infrastruktur mussten diese auch versorgt werden, wodurch sich weitere Wirtschaftszweige entwickeln konnten. "Meist erlebte der Bergbau dabei ein Auf und Ab, da mit dem Versiegen der Vorkommen oder der Entdeckung neuer Lagerstätten oftmals eine rückläufige Entwicklung einsetzte", erklärte Goldenberg. So habe etwa die Entdeckung Amerikas mit seinen reichen Silbervorkommen zum Niedergang des Schwazer Bergbaus im 17. Jahrhundert beigetragen.

Auch im Halltal ist der Bergbau seit über 50 Jahren Geschichte. Dass selbst landschaftlich kaum noch Spuren wie etwa Halden zu finden sind, liegt daran, dass der abgebaute Schutt wieder in den Berg zurückverbracht wurde. Man füllte damit jene Hohlräume auf, die beim Herauslösen des Salzes mittels Wasser entstanden waren.

Wasser statt Salz aus dem Berg holen

Doch von 1995 bis 2002 waren erneut Mineure im Halltal tätig, um den einen Kilometer langen Margarethe-Stollen ins Bettelwurfmassiv zu treiben. Er dient zur Trinkwasserversorgung der Gemeinden Hall und Absam. Acht bis zehn Jahre lang dauert es, bis Schnee- und Regenwasser durch den Wettersteinkalk des Bettelwurfmassivs sickert und im Stollen aus dem Fels rinnt.

Glasklar und fünf Grad kalt ist das Wasser, das förmlich aus dem Stein quillt und in drei Stollenarmen, die wie unterirdische Felsengrotten eines Wellnesstempels wirken, gesammelt wird. Von dort kommt es direkt und unbehandelt in die Haushalte. Auf seinem Weg ins Tal wird ein Teil davon zusätzlich zur Stromerzeugung genutzt. Und auch diese Rohrleitungen fallen inmitten der wilden Natur des Halltals nur Wanderern auf, die auf die Details achten. (Steffen Arora, 18.9.2019)