Sebastian Kurz ist unser ehemaliger und vermutlich künftiger Kanzler (sensationelle Wendungen einmal ausgeschlossen). Was aber ist seine Essenz? Was hat er bisher getan und was haben wir von ihm zu erwarten?

Kurz fragt manchmal in kleinem Kreis auch kritischer Beobachter ziemlich genervt, warum man ihm nicht anrechnet, dass er die FPÖ als Kanzlerpartei und Ibiza-Strache als Kanzler verhindert hat. Um ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen: Die FPÖ war Mitte/Ende 2016 in den Umfragen in Führung. Kurz hat das umgedreht, allerdings, indem er die Ausländerhasspolitik der FPÖ abgemildert übernahm. Er ist allerdings kein vor Ressentiment bebender Überzeugungstäter wie Herbert Kickl. Und er hat ein Grundbedürfnis der Wahlbürger getroffen: Die wollen wirklich "die kulturelle Identität Österreichs aufrechterhalten" (Kurz in Ö1).

Jeder Vernünftige weiß, was Sache ist: Wir haben eine große migrantische Bevölkerung, die Schwierigkeiten hat und zum Teil auch macht. Eine gerechte Beurteilung von Kurz in der Sache muss allerdings zu diesem Schluss kommen: Der Integrationsstaatssekretär, Außenminister und schließlich Kanzler Kurz hat kein schlüssiges Konzept, wie man diese Schwierigkeiten behebt. Er hat nur eine Reihe von inszenierten Symbolmaßnahmen, die auf Schikanieren von Zuwanderern (zum Teil jenen in dritter Generation) hinauslaufen: Kopftuchverbote, Kürzung der Mindestsicherung für kinderreiche Familien, wirkungslose Moscheenschließungen.

Altkanzler Sebastian Kurz.
Foto: APA/AFP/JOE KLAMAR

Kurz wollte eine "ordentliche Mitte-rechts-Politik" machen. Es ist gesellschaftspolitisch großteils eine Rechtspolitik geworden. Wirtschaftspolitisch sieht eine gerechte Beurteilung so aus: Türkis hat sehr wohl unternehmerfreundliche Klientelpolitik gemacht – mit Steuerbegünstigungen, dem Zwölfstundentag, der Erschwerung von Umweltprüfungen für neue Großprojekte -, hat aber auch den Familien im mittleren und unteren Bereich etwas gebracht.

Konsenspolitik

Die politische Brisanz im wirtschaftlichen Teil von Kurz' Mitte-rechts-Politik liegt sozusagen auf der Metaebene. Er ist ganz klar ein Feind der sozialpartnerschaftlichen Konsenspolitik (dem großen Erfolg der Nachkriegsjahrzehnte), und er hat gemeinsam mit der FPÖ eine Säuberung von Arbeitnehmervertretern in den Strukturen des riesigen Sozialversicherungskomplexes durchgezogen.

Stilmäßig weist sich Kurz selbst eine erhöhte Position zu, neigt aber zu unseriöser, kanzlerunwürdiger Agitation ("Silberstein jetzt auch bei Neos!", "Wiener Grünen-Chefin mit Schlepperkontakten!").

Gerechtigkeit für Kurz: Er ist nicht nur an Macht interessiert, er hat eindeutig auch ein politisches Projekt. Nämlich ein (noch) konservativeres, autoritäreres, kulturell traditionelleres, eben "ordentlicheres" Österreich. Das entspricht einem strukturell mehrheitlich rechten Österreich. Seine monumentale Fehleinschätzung: Er dachte, das könne man gut mit der FPÖ machen. Er unterlag (unterliegt?) damit einem unausrottbaren Irrglauben so vieler Bürgerlicher (und mancher SPÖler). Die FPÖ ist jedoch im Kern eine systemfeindliche Partei. Das System dabei ist die liberale Demokratie. Mit der FPÖ ist gar keine demokratische Politik zu machen.

Sebastian Kurz wird untergehen, wenn er sich noch einmal an die FPÖ kettet. Ob er in einer anderen Konstellation Erfolg hat, hängt u. a. davon ab, ob er mit echten Kalibern echte Politik macht, wirtschaftspolitisch, bildungspolitisch, migrationspolitisch. Eine Ein-Mann-Show wie bisher ist angesichts härterer Zeiten wohl zu wenig. (Hans Rauscher, 17.9.2019)