Die Reproduktionstechnologien sind heute vielfältig – die gesellschaftliche Debatte hängt diesem Fortschritt laut Schrupp allerdings hinterher.

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All die Fragen rund um das Potenzial, schwanger werden zu können, wurden immer als Frauenkram abgetan, sagt Antje Schrupp.

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Antje Schrupp, "Schwangerwerdenkönnen". 17,50 Euro / 184 Seiten. Ulrike-Helmer-Verlag, 2019.

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Anfang September brachte in Indien eine 73-jährige Frau Zwillinge zur Welt – mithilfe künstlicher Befruchtung. Auch lesbische und schwule Paare können heute Eltern werden, Samen- und Eizellenspenden gehören inzwischen ebenso zu den vielgenutzten Reproduktionstechnologien wie die Leihmutterschaft. Im Mai wurden sogar erstmals in Deutschland Kinder nach einer Gebärmuttertransplantation geboren. Die Politikwissenschafterin Antje Schrupp befasst sich in ihrem neuen Buch "Schwangerwerdenkönnen" mit den politischen und philosophischen Fragen, die diese neuen Möglichkeiten aufwerfen.

STANDARD: Warum sollten wir uns insbesondere jetzt mit dem Thema Schwangerwerdenkönnen befassen?

Schrupp: In unserer Kultur wurde das Schwangerwerdenkönnen traditionell in die Familie, ins Private ausgelagert. Diese Abspaltung vom Allgemeinmenschlichen möchte ich aufheben. Nachdem die klassische patriarchale Ehe nicht mehr funktioniert und vor allem von Frauen nicht mehr gewollt wird, müssen wir uns auf einer politischen und philosophischen Ebene mit diesem Thema beschäftigen. Zum Beispiel müssen wir uns von der Illusion verabschieden, dass alle Menschen gleich sind. Der Unterschied zwischen Menschen, die schwanger werden können, und Menschen, die nicht schwanger werden können, ist von Bedeutung, auch dann schon, wenn eine Schwangerschaft noch gar nicht realisiert ist. Wenn ich zu den Menschen gehöre, die potenziell schwanger werden können, bin ich mit ganz anderen Fragen konfrontiert. Mich interessieren also die politischen Implikationen dieser reproduktiven Differenz. Welche politischen Regelungen brauchen wir, damit die Freiheit aller Beteiligten angesichts dieser Differenz gewahrt bleibt?

STANDARD: Sie schreiben in Ihrem Buch immer von "Menschen, die schwanger werden können", nicht von Frauen. Aber es sind doch Frauen, die von Diskriminierung wegen ihres Körpers betroffen sind. Etwa wenn sie einen Job nicht bekommen, weil sie womöglich bald schwanger werden könnten.

Schrupp: Wenn man sich die Entwicklung der Reproduktionstechnologien ansieht, zeigt sich, dass es diese klare Aufspaltung in die, die Samen geben, und die, die schwanger werden und das Kind austragen, so nicht mehr gibt. Heute können es auch Frauen sein, für die eine andere Frau schwanger wird, in Form der Leihmutterschaft. Die Reproduktionstechnologie hat die Möglichkeit einer Trennung von Eizellenspenderinnen und Schwangerschaft mit sich gebracht. Und in diesen Verhältnissen nehmen die Frauen, die die Eizellen spenden, gegenüber den Frauen, die schwanger werden, eine ähnliche Rolle ein wie die Männer, die Samengeber sind.

Aber das ist nur ein Punkt. Geschlechterdiskurse haben sich heute vom Thema der reproduktiven Differenz weitgehend getrennt. Geschlecht und reproduktive Funktion hängen nicht unbedingt zusammen, zum Beispiel nicht im Fall von Transpersonen. Aber nicht nur dort. Wenn wir von "Männern" und "Frauen" reden, ist damit normalerweise nur am Rande diese reproduktive Differenz gemeint. Daneben haben wir ganz viele kulturelle Vorstellungen und Erwartungen, was Frausein und Mannsein ausmacht, die nichts mit dem Schwangerwerdenkönnen zu tun haben. Ich wollte das alles nicht mit reinholen, sondern mich darauf konzentrieren, welche politischen Herausforderungen allein aus der reproduktiven Differenz folgen, aus den Unterschieden, die diesbezüglich biologisch vorgegeben sind, und nicht auf die Unterschiede, die durch den Geschlechterdiskurs überformt wurden.

STANDARD: Schwangerwerdenkönnen ist heute um einiges komplexer geworden. Hält die gesellschaftliche Debatte mit den neuen Reproduktionstechnologien Schritt?

Schrupp: Dazu findet viel zu wenig Debatte statt, und das ist problematisch. Reproduktionstechnologien machen heute vieles möglich, was früher undenkbar war, und sie entwickeln sich rasend schnell. Gebärmütter funktionieren zum Beispiel auch mit 70 Jahren noch. Dass Frauen irgendwann nicht mehr schwanger werden können, liegt ja nur daran, dass sie keine Eizellen mehr produzieren. Mit künstlicher Befruchtung kann man jetzt noch im hohen Alter Kinder bekommen. Auch braucht man keinen Sex mehr zu haben, um schwanger zu werden. Man kann sogar Gebärmütter transplantieren, vielleicht werden also demnächst alle Menschen schwanger werden können. Es gibt also viele neue Möglichkeiten.

Faktisch werden die Reproduktionstechnologien aber so eingesetzt, dass sie eine angeblich natürliche Familienform nachahmen. Zum Beispiel legen Gesetze oft fest, dass sie nur für heterosexuelle Paare unter 40 zugelassen sind. Reproduktionstechnologie soll gewissermaßen nur unterstützen, was auch auf natürlichem Weg möglich ist, aber auf keinen Fall soll sie zur Diskussion über andere Familienformen führen. Viele Paare, die diese Technologien in Anspruch nehmen, sprechen nicht darüber. Wie viele Kinder heute schon nicht durch heterosexuellen Geschlechtsverkehr entstanden sind, wird unsichtbar gemacht. Man diskutiert also nicht darüber, was man mit den Möglichkeiten der Reproduktionstechnologie gesellschaftlich machen möchte, sondern tut so, als werde nur das Althergebrachte imitiert.

STANDARD: Es gibt nicht nur Kritik an Reproduktionstechnologien von jenen, die die traditionelle Familie bewahren möchten, sondern auch den Einwand, man unterwerfe seinen Körper und seine Lebensgestaltung damit völlig neoliberalen Ansprüchen. Zum Beispiel wenn man sich Eizellen einfrieren lässt, weil Mitte dreißig eine gute Zeit für die Karriere wäre und man sich deshalb erst viel später Zeit für Kinder nehmen will.

Schrupp: Ja, es stehen sich hier zwei Fraktionen gegenüber: Die einen sagen, das einzig Wahre sei die natürliche Biologie, und alles, was künstlich nachhilft, ist verdächtig. Und auf der anderen Seite sind die kompletten Liberalisierer, die Reproduktionstechnologien als Geschäftsmodell entdeckt haben. Beide liegen meiner Ansicht nach falsch. Mein Ausgangspunkt ist die körperliche Selbstbestimmung von Menschen mit Gebärmutter. Das Anwenden von Reproduktionstechnologien ist so lange okay, wie es nicht in die Freiheit dieser Menschen eingreift. Konkret bedeutet das, dass ich auch Leihmutterschaft unter gewissen Umständen in Ordnung finde, weil womöglich nicht jede Schwangere selbst Mutter werden will, aber auch nicht abtreiben möchte.

Eine Schwangerschaft muss nicht automatisch eine Mutterschaft bedeuten. Zur reproduktiven Freiheit gehört auch, beides voneinander zu trennen. Andererseits sind Menschen, die nicht schwanger werden können, um Eltern werden zu können darauf angewiesen, dass andere für sie schwanger werden. Wichtig ist, dass diese Neuverhandlungen über Familienformen nicht nach kapitalistischen Prinzipien ablaufen, also damit Reproduktionskliniken Profit machen können oder reiche Leute arme Frauen mit Schwangerschaften beauftragen, weil sie selber nicht schwanger werden können oder wollen.

STANDARD: Wie kann das gelingen?

Schrupp: Man muss vom Recht der gebärenden Person auf reproduktive Selbstbestimmung ausgehen. Dazu gehört, dass sie es ist, die nach der Geburt entscheidet, wie es mit dem Kind weitergeht. Ob sie selbst Mutter sein möchte, ob sie Co-Eltern haben möchte – zum Beispiel den Samenspender als Co-Vater – oder ob sie ihr Kind anderen anvertraut, die für das Kind Eltern sein wollen. Das können dann eben auch Auftragseltern sein, für die sie ein Kind ausgetragen hat. Aber das alles muss in Freiheit passieren. Mein Vorschlag wäre, dass die Gebärende die definitive Entscheidung erst einige Wochen nach der Geburt treffen muss, vielleicht ähnlich wie bei einer Adoption, die derzeit in Deutschland erst nach acht Wochen rechtskräftig wird. Die Auftragseltern dürfen nicht einen Rechtsanspruch auf das Kind haben, nur weil von ihnen das genetische Material kommt. Denn das würde in letzter Konsequenz bedeuten, dass man einer Frau, die geboren hat, das Baby mit Polizeigewalt wegnehmen kann, und das geht gar nicht. Bei einer freien Leihmutterschaft könnte man der Schwangeren auch nicht, so wie jetzt häufig, alles Mögliche vorschreiben, sei es, was sie essen oder welche ärztlichen Untersuchungen sie machen muss. Denn auch Menschen, die schwanger sind, haben ein Recht auf körperliche Selbstbestimmung. Aber wenn all das gewahrt ist, spricht nichts gegen Leihmutterschaft.

STANDARD: Die rechtliche Lage wird durch all das aber sehr kompliziert.

Schrupp: Weil die alte klare Zuordnung von Vater und Mutter und Kind eben nicht mehr funktioniert. Bei einer Leihmutterschaft etwa gibt es mit der Samenspende, der Eizellenspende und der Schwangeren bereits drei biologische Eltern. Rechtliche und soziale Eltern sind dann vielleicht noch einmal andere Personen. Das bringt völlig neue politische Herausforderungen mit sich. Letztlich müssen wir hier eine doppelte Ungleichheit regeln, nämlich die zwischen Erwachsenen und Babys und die zwischen Menschen mit und ohne Uterus. Wie wir das in Zukunft handhaben möchten, müssen wir als allgemeines Menschheitsproblem verstehen und völlig neu diskutieren, anstatt einfach bloß alte heterosexuelle Familienmodelle weiter in die Zukunft zu verlängern. Dabei müssen wir von der Freiheit des Menschen ausgehen, vor allem derjenigen Menschen, die schwanger werden können und die ihre Körper zur Verfügung stellen, damit die Menschheit sich fortpflanzen kann.

Der Zustand der Schwangerschaft, in dem zwei menschliche Wesen in einem Körper sind – das ist auch politisch und philosophisch überhaupt nicht durchdacht. Was bedeutet es, einen Körper zu haben, der gleichzeitig ein entstehendes Leben in sich hat? All diese Fragen wurden immer als Frauenkram abgetan, und das Einzige, was der männlichen Kultur dazu eingefallen ist, ist die Idee von einem Embryo, der im Uterus sitzt, während die Frau drumherum nichts zählt. Das ist eine alte aristotelische Vorstellung, wonach die Schwangere ein Gefäß ist, in dem der Samen des Mannes heranwächst, eine Dienstleisterin für den Samen anderer. Diese Idee muss aus der Welt geschafft werden.

STANDARD: Sie schreiben in Ihrem Buch, Feministinnen hätte sich nicht immer leichtgetan mit diesem Thema, weil das Schwangerwerdenkönnen jahrhundertelang als Legitimation für ihre Unterdrückung diente. Hat sich das inzwischen geändert?

Schrupp: Ja, das Thema wird häufiger diskutiert. Das liegt wohl daran, dass jetzt Frauen schwanger sind oder schwanger werden könnten, die schon in dem Bewusstsein aufgewachsen sind, dass sie gleichberechtigt sind. Sie sind also nicht mehr bereit, deshalb zurückzustecken. Das ist eine neue Etappe der Frauenbewegung, nämlich der Kampf darum, dass die Versprechen der Gleichberechtigung auch dann noch eingehalten werden, wenn man schwanger wird. Das kommt das jetzt auf die Tagesordnung. (Beate Hausbichler, 18.9.2019)