Das "Wahlkampfzuckerl" Pflegebonus von Sebastian Kurz habe einen bitteren Geschmack, kritisieren Betroffene.

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Wien – 1.500 Euro Bonus für pflegende Angehörige: Der Vorschlag aus dem türkisen Wahlprogramm klingt attraktiv und lässt sich medial gut verkaufen. "Doch in Wahrheit ist das eine Augenauswischerei", kritisiert Bernadette Feuerstein, Vorsitzende von Selbstbestimmt Leben in Österreich (Sliö). Denn das echte Problem der Betroffenen werde damit kein bisschen gelöst. Dafür benötige es ein zeitgemäßes und bedarfsgerechtes Pflegemanagement für ältere Personen und Menschen mit Behinderung, sagt Feuerstein mit Verweis auf die UN-Behindertenrechtskonvention.

Mit dem nun von Kurz als Wahlkampfzuckerl präsentierten Pflegebonus würden die bestehenden Missstände vielmehr zementiert statt gelöst. Derzeit pflegen mehr als 900.000 Österreicherinnen – es sind vor allem Frauen – Angehörige zu Hause. Rechne man den 1.500-Euro-Bonus auf deren geleistete Arbeitsstunden um, so ergebe sich mit 68 Cent pro Stunde ein Wert, der nicht einmal die Lohnsteigerung von einem Euro pro Stunde im Jahr 2019 zu decken vermag. Die ÖVP beweise mit ihrem Vorschlag also, dass sie nicht rechnen könne, sagt Feuerstein.

Betroffene brauchen Entlastung

Zudem würde der ÖVP-Vorschlag die Rolle pflegender Angehöriger förmlich zementieren. Echte Verbesserungen seien nur möglich, wenn man echte Unterstützung, etwa in Form von mobilen und gemeindenahen Diensten, in deutlich größerem Ausmaß anbieten würde. Gerade in ländlichen Gegenden fehle diese aber oft gänzlich, kritisiert Feuerstein. Auch die persönliche Assistenz für Menschen mit Behinderung müsse österreichweit einheitlich gestaltet und ausgebaut werden. Dazu sei es nötig, dieses "riesige Thema volkswirtschaftlich anzugehen". Was Kurz vorschlage, sei jedoch reine Almosenpolitik.

Dass der angedachte Pflegebonus im vollen Umfang erst ab Pflegestufe drei gewährt werden soll und somit der Großteil der Betroffenen gar nicht anspruchsberechtig wäre, sei nur eine zusätzlicher Schwäche des Vorschlags, kritisiert Sliö. Dass man diese Verantwortung weiter auf Familien und damit in erster Linie auf Frauen abschiebe, widerspreche der Grundidee eines Sozialstaats, sagt Feuerstein.

"Bitteres Wahlzuckerl"

Denn in der Folge bedeute das für die Betroffenen, dass sie oft keinem Beruf nachgehen können und später dem Risiko der Altersarmut ausgesetzt sind. Angesichts der Leistungen, die pflegende Angehörige erbringen – Sliö beziffert den volkswirtschaftlichen Nominalwert dieser Arbeit mit über 30 Milliarden Euro –, erhalte das türkise Wahlzuckerl damit einen bitteren Beigeschmack.

Ein weiteres gravierendes Problem, das durch den Bonusvorschlag ausgeblendet werde, sei die Kinderarbeit. Denn gemäß Zahlen des österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbands kümmern sich rund 42.700 Kinder und Jugendliche in Österreich um ihre Angehörige. Indem man die Pflichten weiter in den familiären Bereich auslagere, würden die Probleme dieser Kinder ignoriert. (Steffen Arora, 18.9.2019)