Ungefähr die Hälfte der Klienten in der Wohnungslosenhilfe hat zuvor die eigene Wohnung verloren.

Foto: Matthias Cremer

Wien – Wer in einer akuten Krise steckt, dem fehlt oft die Kraft dazu, Mahnbriefe zu öffnen. Bis die Räumungsklage ins Haus steht, geht es dann schneller als gedacht – und plötzlich muss man bei Freunden oder Bekannten um temporären Unterschlupf bitten. Oder steht, im schlimmsten Fall, auf der Straße.

Eine Delogierung bedeutet eine zwangsweise Räumung aus den eigenen vier Wänden. Sie droht als letzte Maßnahme, wenn man seine Miete nicht mehr bezahlen kann. 20.000 Räumungsklagen wurden im Jahr 2018 in Wien eingebracht, 2.200 Räumungstermine wurden durchgeführt.

Es gibt nicht den einen, vorgezeichneten Weg, wie man in einer solchen Situation landen kann. Trennung, Krankheit oder der plötzliche Verlust des Arbeitsplatzes können zum Beispiel Auslöser sein. Armutsgefährdung spielt fast immer eine zentrale Rolle. Ungefähr die Hälfte der Klienten in der Wohnungslosenhilfe hat zuvor die eigene Wohnung verloren.

Junge Erwachsene gefährdet

Bei einer Fachtagung zur Delogierungsprävention, zu der die Volkshilfe gemeinsam mit der Stadt Wien geladen hatte, diskutierten Experten über aktuelle Herausforderungen. Und von denen gibt es einige, lautet der Befund: Die Entwicklungen am Wohnungsmarkt der letzten Jahre verschärfen die Situation, sagt der Leiter der Fachstelle für Wohnungssicherung (Fawos) der Wiener Volkshilfe, Robert Blum.

Ein großes Problem neben den steigenden Mieten seien etwa die immer häufiger vergebenen befristeten Mietverträge. Zum Beispiel, wenn ein gesetzlich festgelegter Mietzins überschritten werde: "Die Klienten kommen dann und sagen: Wenn ich eine Klage einbringe, dann wird unser Vertrag nicht verlängert. Also zahle ich lieber mehr", schildert Blum. "Wir brauchen deshalb dringend Konsequenzen für Vermieter, die zu viel Miete verlangen."

Besondere Aufmerksamkeit in puncto Prävention richtet sich seit einiger Zeit außerdem auf junge Erwachsene: Gerade für die sei es oft extrem schwierig, den Überblick über ihre Ausgaben zu bewahren, berichten viele Sozialarbeiter. In Gemeindebauten sind sie die größte Gruppe unter Delogierten.

Große Unsicherheit

Typische Übergangsverläufe, wie sie einmal nach dem Motto "Bildung, Arbeit, Ruhestand" gang und gäbe waren, gehören der Vergangenheit an, konstatiert der Soziologe Christoph Reinprecht. Mittlerweile spreche man von sogenannten "Jo-Jo-Übergängen", die in puncto Kontinuität einer Autodromfahrt glichen – was auch mit instabilen Zukunftsperspektiven zu tun habe. Hinzu komme eine hohe Schwelle für junge Erwachsene, am derzeitigen Markt eine passende Wohnung zu finden.

Große Unsicherheit herrscht, was die Auswirkungen der neuen Sozialhilfe betrifft. Besonders die Kürzungen für Mehrkindfamilien und die Verknüpfung des Anrechts auf einen vollen Leistungsbezug mit dem Deutschniveau bereiten den Sozialarbeitern Sorge. Mit welchen Auswirkungen rechnet man in den nächsten Jahren? "Kriminalität, Obdachlosigkeit, prekäres Wohnen – all das wird passieren", sagt Blum.

Ausführungsgesetz in Arbeit

Ein besonderes Problem stellen außerdem subsidiär Schutzberechtigte dar, sie haben künftig auch in Wien keinen Anspruch mehr auf Leistungen, die über die Grundversorgung hinausgehen. Das betrifft in etwa 6.300 Personen.

Gespannt wartet man auf die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs, der sich noch in seiner Oktober-Session mit dem Sozialhilfe-Grundsatzgesetz befasst.

Das entsprechende Länder-Ausführungsgesetz ist trotzdem in Arbeit. Peter Stanzl (MA 40) spricht von einem "enormen Verwaltungsaufwand". Mögliche Abfederungen werde man wohl ausreizen, hieß es in Richtung der Praktiker, die auf Lösungen drängen. (Vanessa Gaigg, 26.9.2019)