Um zur "Schule am Himmel" der Caritas zu gelangen, muss man im wahrsten Sinne des Wortes hoch hinaus, zum Wiener Pfaffenberg, mit Blick über die Dächer der Bundeshauptstadt. Was gerade noch Baustelle war, entwickelt sich langsam zu einem hochmodernen Schulgebäude. Fixe Klassenzimmer gibt es nicht, dafür aber Therapieräume und Rückzugsecken. Die Großen gelangen von der Lernzone aus schnurstracks auf den Dachgarten. "Am Himmel" lernen Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam.

Insgesamt 120 Kinder besuchen die "Schule am Himmel". Ein Drittel hat sonderpädagogischen Förderbedarf, zwei Drittel werden nach dem regulären Lehrplan unterrichtet.

Insgesamt 120 Kinder besuchen die "Schule am Himmel". Ein Drittel hat sonderpädagogischen Förderbedarf, zwei Drittel werden nach dem regulären Lehrplan unterrichtet.
Foto: Heribert Corn

Auch die Sonderschule Bruck an der Leitha findet man ganz oben – im Dachgeschoß der Volksschule am Hauptplatz. Von Renovierungsarbeiten kann jedoch keine Rede sein. Zwar platzt der Standort aus allen Nähten, doch in den letzten Jahren war man mit Anschaffungen vorsichtig. Sonderschulen wie jene im Wiener Umland sollte es nämlich eigentlich nicht mehr geben. Ursprünglich kündigte Österreich eine Abschaffung bis 2020 an und richtete Inklusionsmodellregionen ein. Dann sprach sich Türkis-Blau aber für einen Erhalt aus.

Umgekehrte Inklusion

Die "Schule am Himmel" war bis vor ein paar Jahren ebenfalls eine klassische Sonderschule. 2015 wurde sie als Inklusionsschule neu eröffnet. Als die Umstellung angekündigt wurde, gingen Eltern und Lehrer auf die Barrikaden. Zahlreiche schwerstbehinderte Kinder wurden von der Caritas-Schule ab- und in anderen Sonderschulen angemeldet – aus Angst um die Qualität der Betreuung, wegen schlechter Erfahrungen in Regelschulen.

Vier Jahre später möchte Himmel-Direktorin Andrea Rieger von den anfänglichen Sorgen nichts mehr wissen. Selbstverständlich gebe es ab und zu Probleme, Kinder stießen zusammen. Besonders die Eltern stecken das nicht immer so leicht weg. Auch mit dem Wechsel von der Volks- in eine weiterführende Schule kommen Zweifel auf. Soll man das Kind in der neuen Mittelschule "am Himmel" lassen oder es doch in einer AHS versuchen, um der beruflichen Karriere am Ende nicht im Weg zu stehen? Die Bilanz will man dennoch positiv wissen, die Schülerzahlen steigen. Bleibt die Frage der Massentauglichkeit.

Schutzzone Sonderschule

"Sonderschulen zu öffnen ist allein noch kein Inklusionsmodell", meint Tobias Buchner. Er forscht am Institut für Bildungswissenschaft der Universität Wien. Denn inklusive Schulen müssten in jedem Grätzel sein und für alle offenstehen. Der Schüler mit dem längsten Anfahrtsweg braucht auf den Kahlenberg insgesamt eineinhalb Stunden. Auch die Möglichkeit, als Sonderschüler in die Regelschule zu wechseln, wie es die von ÖVP und FPÖ propagierte Wahlfreiheit vorsieht, besteht nicht immer. Standorte stellen sich quer: Es gebe nicht ausreichend Personal, auch bauliche Umstände ließen einen Wechsel nicht zu. Doch nicht nur Regelschullehrkräfte sind unsicher, auch Sonderschulen nehmen oftmals eine bremsende Rolle ein.

Die "Schule am Himmel" war bis vor ein paar Jahren ebenfalls eine klassische Sonderschule. 2015 wurde sie als Inklusionsschule neu eröffnet.
Foto: Corn

"Sonderschulen werden vielfach als Schutzzonen verstanden. Man fürchtet sich vor Durchmischung", erklärt Buchner. Himmel-Direktorin Rieger pflichtet diesem Urteil bei: "Es fehlt der Mut, den Glassturz zu heben. Man kann auch Menschen mit Behinderung mehr Verantwortung geben." Auch Studien kommen zu dem Schluss, dass Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf von inklusiven Schulen profitieren. Der Wechsel in die Berufsausbildung oder an die Universität fällt leichter, weil es Vorbilder im Schulalltag gibt. Dass man durch Sonderschulen der Gefahr von Mobbing entgegenwirken kann, wie ÖVP-Behindertensprecherin Kira Grünberg die Initiative zum Erhalt begründet, sieht der Inklusionsexperte Buchner kritisch. Inklusionsschüler würden zwar von Mobbingerfahrungen berichten, aber auch davon, wie sie den Umgang damit lernen – zudem gebe es auch an Sonderschulen Mobbing.

Sabine Maurer, Direktorin der Sonderschule Bruck an der Leitha, hätte nicht für möglich gehalten, dass es 2020 noch Sonderschulen geben wird. Am Schulstandort bemühe man sich zwar um Kooperationen mit der hauseigenen Volksschule, für viele endet die Schule aber mit den Stufen zum Dachgeschoß: "Letztlich bleiben wir häufig unter uns." Kinder mit körperlicher Behinderung in eine gemeinsame Schule zu integrieren ist – Maurer zufolge – das kleinere Problem. Eine größere Hürde stellen Schüler mit sozial-emotionalen Abweichungen dar: "Das Bildungssystem findet hier keine Antworten." Das bestätigt auch die Himmel-Direktorin.

Ressourcen und Haltung

Für den breiten Ausbau inklusiver Schulstandorte fehlt es an Geld und Personal, sagen Maurer und Buchner. Der Rechnungshof kam bei einer Prüfung der Inklusionsbemühungen der letzten Jahrzehnte jedoch zum Schluss, die türkis-blaue Doppelstrategie sei die teuerste und ineffizienteste Variante. Auch Himmel-Direktorin Rieger betont, dass sie mit derselben Zahl an Pädagogen auskomme wie öffentliche Schulen.

Und da kommt auch ein weiterer Faktor ins Spiel: die Haltung. Rieger sucht sich Personal aus, das zum Standort passt. Die Lehrkräfte müssen von der Durchmischung überzeugt sein – das sei nicht überall der Fall. "Ich werde oft als Leuchtturmschule beschrieben", meint Rieger, "aber das möchte ich nicht sein. Meine Schule soll es österreichweit geben. Das könnte ich vielleicht nicht mehr erleben." (Franziska Windisch, 21.9.2019)

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