Dürers "Selbstporträt als Akt" wirkt radikal modern. Seine Prioritäten bei der Ausführung sind ersichtlich.

Fotothek Klassik-Stiftung Weimar

Dürers "Feldhase" von 1502 könnte von der Wendung vom "Hasen des Polygnot" inspiriert sein:_ Polygnot gilt als einer der antiken Künstler, der laut Überlieferung besonders realistisch malte.

Foto: Albertina, Wien

"Das große Rasenstück" von 1503 gehört auch zu Dürers bekanntesten Werken.

Foto: Albertina, Wien

Dürers "Flügel einer Blauracke" (um 1500) versetzen noch heute in Staunen.

Foto: Albertina, Wien

Tausendfach reproduziert: Dürers "Betende Hände" von 1508. Sie waren einst gemeinsam mit einem Apostelkopf auf einem Blatt. Jenes wurde auseinandergeschnitten und die Hände wurden zur solitären Ikone.

Foto: Albertina, Wien

Sie schmücken das Grab von Andy Warhol, die tätowierte Haut von Knastbrüdern und werden noch heute zur Firmung verschenkt: Mit seinen Betenden Händen schuf Albrecht Dürer ein Symbol für Frömmigkeit, das als kitschige Relieftafel aus Gips oder Bronze die gute Stube ziert. Der Nürnberger war zwar ein Marketing-Genie, das seine Drucke tausendfach auflegte, aber an der inflationären Händefalterei trägt er keine Schuld.

Zumindest vor dem Original, das ab Freitag in der großen Dürer-Schau der Albertina zu sehen ist, wird die Faszination des Andachtsbildes plausibel. Die Hände hingen ursprünglich mit einem Apostelkopf zusammen, aber das Blatt wurde auseinandergeschnitten und erst so zur solitären Ikone. Die leicht gekrümmten Finger berühren sich nur schwach und wirken so, als hätten sie gerade erst zusammengefunden. Mit schwarzen und weißen Strichen arbeitet Dürer 1508 jede Ader, Rille und Runzel ungeheuer plastisch hervor.

Diesen besonderen Pinsel würde er sich gerne ausborgen, soll der Venezianer Giovanni Bellini seinen deutschen Kollegen einst gebeten haben. Aber als ihm Dürer sein Werkzeug hinhielt, war darunter kein ungewöhnliches Utensil zu finden. Die Detailliertheit der lichtempfindlichen Hauptwerke Feldhase, Das große Rasenstück oder Blaurakenflügel versetzt auch heute immer noch in Staunen. Diese Blätter waren mehr als Studien, aber auch keine Verkaufsware. Sie dienten vielmehr als Schaustücke der Werkstatt, um Interessenten das eigene Können zu demonstrieren.

Wie Dürer aufs Langohr kam

So wirkt Dürers Hase zwar plüschig-weich, lässt aber bei genauerem Betrachten gar kein so dicht gestricheltes Fell erkennen. Wie kam Dürer überhaupt auf das Langohr? Albertina-Kurator Christof Metzger glaubt, dass den humanistisch gebildeten Renaissancekünstler die Wendung vom "Hasen des Polygnot" inspiriert haben könnte. Polygnot gilt als einer der antiken Künstler, der laut Überlieferung besonders realistisch malte. Man müsse die Kunst "aus der Natur herausreißen", schrieb Dürer später.

Das Besondere am Feldhasen: Dürer fängt das Tier zwar lebensecht ein, aber er lässt den Betrachter über die Umgebung im Ungewissen. Schließlich bettet Meister Lampe seine vier Pfoten auf eine undefinierte weiße Fläche, auf die seitlich ein Schatten fällt. Ein gespiegeltes Fensterkreuz im Auge des Hopplers zeigt, wo das Licht dafür herkommt.

Leider kann die Albertina nicht Dürers legendäres Selbstporträt im Pelzrock aus der Alten Pinakothek in München zeigen, wo sich der Meister ebenfalls mit auf der Pupille reflektiertem Fenster darstellt. Das tut der Schau aber keinen Abbruch, verfügt die Grafiksammlung doch selbst mit 140 Zeichnungen über den international größten Bestand an Meisterwerken. Für die erste Dürer-Schau seit 2003 konnten obendrein wunderbare Leihgaben wie die Gemälde Anbetung der Könige aus den Uffizien oder Der heilige Hieronymus aus dem Nationalmuseum in Lissabon ausgeborgt werden.

Voll von Selbstvertrauen

Nach seiner ersten Italien-Reise wollte Dürer zunächst gar kein Maler, sondern Druckgrafiker sein. Gemälde entstanden nur nach Auftrag und bedeuteten so Abhängigkeit von den Wünschen des Bestellers. Am Beginn der Schau begegnet einem der 13-jährige Künstler, der wie sein Vater zum Goldschmied ausgebildet war, in einem Selbstporträt. Der Jüngling hielt sich mit Silberstift fest, eine Technik, die keine Korrekturen erlaubt. Er bewies damit nicht nur großes Talent, sondern auch Selbstvertrauen, galten Künstler zu jener Zeit doch noch als Handwerker.

Von keinem Künstler jener Epoche existieren so viele Dokumente wie Briefe, Tagebücher, Abhandlungen oder auch eine Familienchronik. Seine Frau Agnes, die in einer anrührenden Zeichnung aus dem Jahr der Eheschließung 1504 zu sehen ist, stand auf dem Markt und verkaufte Dürers gefragte Drucke wie Die vier apokalyptischen Reiter oder das Rhinozeros. Auf dem Blatt Die Heilige Familie mit Libelle ist erstmals Dürers legendäres Monogramm zu sehen, bei dem das A als Dach für das D fungiert.

Im Gegensatz zu seinem Vorläufer Leonardo da Vinci verfügte der Nürnberger über kein anatomisches Wissen aus erster Hand. Er hatte nie ein Seziermesser gehalten, dafür griff er zum Zirkel. Mehrere Blätter der Schau zeigen, wie er Körper konstruierte und die Proportionen für sein Werk Adam und Eva berechnete. Dürer wagte jedoch auch ohne Rechenbrett viel nackte Haut und schuf einige der ersten Akte in der deutschen Kunst. In Stichen wie Das Frauenbad tritt das antike Körperideal zurück und auch ein geiler Spanner fehlt nicht.

Mit 28 Jahren hielt Dürer den Handspiegel vor sein eigenes Geschlecht. Das Selbstporträt als Akt aus Weimar zeigt den Langhaarigen mit muskulösem Oberkörper, der wie eingeölt glänzt. Die abgeschnittenen Gliedmaßen und der schwarze Hintergrund lassen dieses Pin-up radikal modern wirken. Auffälligerweise verwendet er mehr Mühe auf sein Gemächt als auf sein Gesicht. Wäre nicht der stiere Blick, Dürer ginge als junger Adonis durch. (Nicole Scheyerer, 19.9.2019)