Am Bau werden viele EU-Ausländer auf begrenzte Zeit entsandt.

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Es ist diesmal nicht das ganz große Thema im Wahlkampf, und doch drehen sich viele der Debatten rund um Migration. Meist geht es dabei um die Frage, wie viele Asylwerber nach Österreich kommen sollen und wie Fluchtursachen am effektivsten bekämpft werden können.

Ein am Mittwoch veröffentlichter Bericht der Industriestaatenorganisation OECD kann dabei helfen, die Debatte aus einer etwas anderen Perspektive zu betrachten. Die OECD hat eine Übersicht der jüngsten Migrationsbewegungen in ihre 36 Mitgliedsländern erstellt. Dabei werden nicht nur Flüchtlingsströme berücksichtigt, sondern alle Formen der Einwanderung: Arbeitsmigration, Familienzusammenführung oder die kurzfristige Entsendung von Arbeitnehmern.

Ein Blick in den Report macht deutlich: Österreich ist nicht irgendein Einwanderungsland, sondern war in den vergangenen Jahren einer der Staaten mit der größten Anziehungskraft auf Migranten. Im Jahr 2017 kamen gemessen an der Bevölkerung nur in fünf OECD-Länder, darunter die Schweiz, Schweden und Luxemburg, mehr Zuwanderer. Im langjährigen Schnitt zwischen 2011 und 2016 lag Österreich in dieser Kategorie ebenfalls unter den zehn wichtigsten Einwanderungsdestinationen.

"Unterschätztes" Phänomen

Die wichtigsten Herkunftsländer der Migranten sind in Europa, allen voran in der EU. Unter den Top-Ten-Herkunftsländern 2017 findet sich nur Syrien auf Platz fünf als nicht europäisches Land. "Fast 60 Prozent der dauerhaften Zuwanderung nach Österreich im Jahr 2017 sind auf die EU-Freizügigkeit zurückzuführen. Die große Bedeutung dieser Migrationsform, gerade für Österreich im internationalen Vergleich, wird häufig unterschätzt, weil sie weniger sichtbar ist", sagt der OECD-Migrationsexperte Thomas Liebig. Die EU-Einwanderer haben in der Regel Arbeitsplatz und Wohnung, die gesellschaftspolitischen Debatten entzünden sich also weniger an ihnen.

Dass die meisten Zuwanderer aus anderen europäischen Staaten kommen, zeigt sich auch, wenn man nicht nur die Entwicklung der vergangenen Jahre betrachtet, sondern die Gesamtzahlen: Die mit Abstand meisten ausländischen Staatsbürger, die in Österreich leben, sind Deutsche. Es folgen Serben, Türken, Rumänen, Bosnier, Ungarn, Kroaten.

Gäste auf Zeit

Einwanderung aus europäischen Ländern spielt noch in einer anderen Kategorie eine zentrale Rolle. Die OECD erfasst auch, wie viele Arbeitnehmer für begrenzte Zeit kommen: In diese Gruppe fallen etwa in der EU entsendete Arbeitnehmer, etwa am Bau. Und auch hier ist Österreich immer interessanter geworden über die vergangenen Jahre. Nur in Frankreich ist die Zahl der Arbeitnehmer, die aus anderen EU-Staaten für kurze Zeit kommen, so stark gestiegen. Nach Österreich wurden 2017 fast so viele Arbeitnehmer entsendet wie nach Deutschland, wenn man auch die Ausreisen berücksichtigt. Netto kamen in beide Staaten etwas mehr als 90.000 Arbeitnehmer via Entsendungen. Die Bundesrepublik ist zehnmal größer.

Relevant ist das, weil über Grenzen zu diskutieren in Bezug auf Migration nur begrenzt etwas bringt: Für EU-Bürger greifen Regeln der Arbeitnehmerfreizügigkeit, sie dürfen also ohne weiteres kommen. Das gilt für noch eine zahlenmäßig bedeutende Gruppe: Drittstaatenangehörige haben die Möglichkeit, Ehepartner und minderjährige Kinder nach Österreich nachzuholen, sofern sie diese versorgen können. Das gilt auch für anerkannte Flüchtlinge. Verankert ist das in der Europäischen Menschenrechtskonvention, aber auch in einer EU-Richtlinie.

Ein Fünftel Nicht-Österreicher

1,7 Millionen Menschen mit ausländischer Staatsbürgerschaft leben insgesamt im Land – was 19,4 Prozent der Bevölkerung entspricht. In fünf OECD-Ländern ist der Wert noch höher, darunter in Australien und der Schweiz.

Die Studie zeigt auch auf, wo Österreich als Einwanderungsland restriktiv ist: Bei Einbürgerungen. Von den 36 OECD-Staaten gab es zuletzt nur in vier Ländern, darunter Lettland und Estland, gemessen an der Zahl der ausländischen Staatsbürger noch weniger Einbürgerungen als in Österreich. Etwa ein Prozent der ausländischen Staatsbürger erhielt 2017 die österreichische Staatsbürgerschaft. In Schweden lag die Quote achtmal höher. (András Szigetvari, 18.9.2019)