"Es ist ein trostloser Anblick. Aber wir sind willens und die Kinder geldgierig."

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Sieben Uhr. Der Tag beginnt früh und verzweifelt. Wir schaffen es zu spät zum vereinbarten Treffpunkt für den Kinderflohmarkt. Es ist ein Raum im Keller eines Kirchenbaus. Es riecht muffiger, als es klingt. Die Tische stehen in einem riesigen U entlang der Wände, die meisten schön aufgebaut, mit Tischdeckchen darauf. Wir steuern auf den einzigen freien Platz ganz im Eck zu, bepackt mit drei properen Kisten und weiteren drei aus Zeitgründen hysterisch angestopften Müllsäcken. "Ich habe nur mehr den Losertisch", eine sportlich gekleidete Dame kommt auf uns zu. Ihr Name ist Sonja, Architektin, aber wegen der Kinder daheim, viele karitative Projekte und begeisterte Flohmarktorganisatorin, weil Nachhaltigkeit, weil irgendwie auch Gestaltung vom Lebensraum, gell, und für die Kinder, wir wissen, jedenfalls ein Abenteuer. Ich staune über so viel Info. Meine Kinder, zwei Buben mit sieben und zehn Jahren, maulen über den lächerlichen Flohmarkttisch. Sonja hebt eine Augenbraue und behält sie den Rest des Tages weitgehend oben.

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Trostloser Wühltisch

Ich staple unsere Sachen auf dem blanken Tisch. Ein Turm mit Brettspielen. Ein Turm mit Büchern. Mangels mitgebrachter Behältnisse landet das Kleinteilige auf Häufchen. Playmobil-Figuren. Pokémon-Karten. Schleich-Tierfiguren. Sandspielzeug. Matchbox-Autos. Es ist ein trostloser Anblick. Aber wir sind willens und die Kinder geldgierig. Sie stellen eine riesige Schuhschachtelkassa vor sich hin. Während ich ausräume und die Kleidung irgendwie zu drapieren versuche, versteckt der Siebenjährige die Sachen, die ihm doch gefallen, wieder unter dem Tisch. Der Zehnjährige sieht das. Meine Kinder sind also die Ersten, die sich prügeln. Ich spüre Sonjas Augenbraue im Rücken.

Das beobachten zwei 14-jährige Jungs auf dem Platz rechts von uns. Sie sind wohlgenährt, ihre bleichen Wangen zieren rote Flecken. Ihr Blick ist grimmig. Später merke ich, sie sind nur auf Turkey, weil der Vater ihnen die Handys weggenommen hat. Vor ihnen liegen hunderte Konsolenspiele. Ihr Vater schaut auf sein Handy. Mein Siebenjähriger schmachtet die beiden an. Sie weigern sich, ihn zu bemerken. Die Tischnachbarin links von uns mustert unsere kleine Verkaufswabe. Ihr Stand ist perfekt. Der Tisch geschmückt, die Spielsachen sortiert, die Kartons beschriftet, die Kleidung nach Größen geordnet. Ein kleines Mädchen von etwa sechs Jahren sitzt dahinter und starrt auf die Dinge.

Eine Traube von Kindern beginnt, von Stand zu Stand zu gehen, um sich alles anzusehen. Zu fragen, was das kostet, um Sachen auszuprobieren. Zurückzugehen zu ihren Eltern, um sie um die Preziosen anzubetteln. Meine Kinder verkaufen viele Schleich-Tiere. Ich glaube, es ist das erste Mal, dass sie sie in der Hand haben. Eine ältere Dame zeigt auf eine Ladung Tiptoi-Spiele und -Bücher. Mit einem interaktiven Stift kann man da alles über verschiedene Themenwelten erfahren. Das Feuerwehrbuch ist toll, erkläre ich, man hört mehrere Arten von Sirenen! "Wahnsinn, Tiptoi ist so irre öde!", gröhlt mein Zehnjähriger. Die Oma geht weiter. Ich bespreche mit den Kindern, was genau ein USP ist, ein Unique Selling Point, wozu zum Beispiel die Ödnis eines Produktes nicht gehört. Außer man verklopft Fastenwochen im Kloster. Beinahe hätten wir eine Badehose verkauft, hätte sich der Siebenjährige nicht lauthals daran erinnert, wie oft er da reingepisst hat. Just da schwirrt Sonja, die Flohmarktchefin vorbei, die Augenbraue am Peak.

Der Raum füllt sich stetig mit Leuten. Es wird gelacht, gefeilscht, glühende Kinderaugen, in den Pappendeckelkassen klimpert es. Säckeweise werden Sachen hinausgetragen. Ich warte auf den "Ich hab’s zuerst gesehen"-Klassiker. Er kommt nicht. Die Kleiderstange der Nachbarin lichtet sich, sie beginnt, neue Dinge aus einem Köfferchen zu holen und aufzuhängen. Ihre Tochter starrt auf die Kleider und dann wieder vor sich hin. Ich biete ihr den Tiptoi-Stift an und ein Buch über Afrika. Es scheint ihr zu gefallen, sie lacht viel über die Tierstimmen. Mein Siebenjähriger setzt sich dazu und findet es auch toll. An unseren kümmerlichen Tisch kommen die Leute nur zögerlich. Manche nehmen ein Buch oder ein Spiel und fragen nach dem Preis. Der Zehnjährige verlangt einen Euro. Er bekommt 50 Cent angeboten. Der Siebenjährige lehnt das empört ab. Der Zehnjährige geht darauf ein. Ich zahle 50 Cent dazu, damit Frieden herrscht. Meine Tischnachbarin zischelt mir hinüber, dass das aber nicht der Sinn der Sache sei, die Kinder müssen verhandeln lernen. Ihre Tochter blickt ins Leere. Eine Dame bleibt bei uns stehen, hebt mit spitzen Fingern alte Bergschuhe auf und lässt sie wieder fallen. "Investieren Sie!", ruft der Zehnjährige weltmännisch. "Kleines Geld für großen Ramsch!" "Geld!", ruft der Siebenjährige. Die Dame ist weg.

Glitter und Ramsch

Unsere Standnachbarin demonstriert uns, wie das geht. "Aber das ist eine Daunenjacke von Moncler!", ihre Stimme überschlägt sich. "Unter 50 Euro gebe ich die nicht weg!" Eine Dame kauft sie ihr ab und bekommt drei Markenkleider gratis dazu. Ich staune über ihr Geschick. Verschenken, da geht etwas weiter. Ein Vater, der eindeutig geschickt wurde, um nach Schnäppchen zu schielen, huscht an uns vorbei. Zwei Mädchen vom übernächsten Tisch locken ihn zu sich und preisen ihre Ledereislaufschuhe an oder die Hello-Kitty-Taschen, die Hello-Kitty-Jacke, die Hello-Kitty-T-Shirts und etwa 15 Pyjamas mit diesem Sauviech drauf. Niemand kommt an unseren Stand, ich bin genervt. Der Zehnjährige strahlt. "Die Leute gehen zu den Hello Kittys! Wir müssen was ankaufen, zum Anlocken!" Wir kaufen um 25 Euro Hello-Kitty -Sachen. Meine Kinder verschwinden und lassen mich in dem Glitter allein. Eine streng schauende Mutter hält ihren achtjährigen Buben an der Hand. "Kann ich helfen?", frage ich. "Mein Sohn hat breite Füße und einen hohen Rist!" "Oh, das tut mir aber leid!", rufen meine Loriot-verseuchten Kinder unisono und robben in mir fremden Schlafsäcken auf dem Boden an uns vorbei. Die Frau kauft uns die Wanderschuhe ab. Es gibt mir einen Stich. Die ersten Wanderschuhe. Farewell. Also nicht, dass jemals jemand damit wandern war. Der Siebenjährige malt mit den Zeichenstiften die Bücher an. Er preist sie lauthals als Unikate an. Das beeindruckt niemanden. Ich kaufe ihm eines ab. Er verlangt zehn Euro. Um ihn werde ich mir nie Sorgen machen müssen, niemals.

"Schlussrunde!" Das ist der Moment, wo man darüber nachdenkt, ob man das Zeug herschenkt oder wegbringt zum Mistplatz, wo es drittverwertet wird.
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Zeit für Magengel gegen Reflux

Mittag. Der Ansturm wird weniger. Um uns packen alle ihre Käsebrote aus oder verteilen Tee. Wir haben nichts mit. Ich schicke die Kinder schnell nach oben zum Markt, damit sie etwas kaufen – und mir etwas mitbringen. Meine Mutter kommt vorbei. Ich verstecke hastig eine sauteure Jacke, die den Kindern noch passen würde. Ein Weihnachtsgeschenk. Die Kinder kommen zurück. Sie haben 45 Euro ausgegeben für französischen Käse, Spezialbrot aus dem Waldviertel und noch ein paar Snacks von der teuersten Bude des Marktes. Sie stellen einen riesigen Papiersack auf unseren Furztisch. Ich überschlage die finanzielle Situation und bilanziere bei etwa minus 30 Euro. Meine Mutter ist fündig geworden und bringt ungefragt eine Tasche voll sinnloser Sachen für die Kinder. Ich überlege, ob ich zum Drogeriemarkt gehen soll, es gibt dort ein Magengel gegen Reflux. Sonja fragt, wie es läuft. Sie hat sehr schöne Augenbrauen eigentlich. Ich blicke auf unsere relativ vollzähligen Kostbarkeiten plus den neuen Kram von meiner Mutter. Sonja versteht. Mit ein paar Handgriffen sortiert sie alles um, hängt auf, stapelt, legt hin – und wir haben einen Zaubertisch. Wie herrlich liegen auf einmal unsere Dinge da. Sie beginnt, die vorbeiströmenden Menschen anzusprechen. Hält einen Pulli hoch, der dem einen Buben passen könnte. Oder ein Brettspiel, das wäre doch etwas für das Enkerl. Meine Kinder begreifen. Es wird ein Mordsspaß, sich auszudenken, was für wen passen könnte. Sie sind erfolgreich, die Schuhschachtel füllt sich. Ich blicke Sonja dankbar an. Sie zwinkert mir zu, zweimal hintereinander, ganz fest. Ich verzeih’s ihr. Die beiden Buben vom Nebentisch packen ihre Konsolenspiele wieder ein und gehen grußlos zum Ausgang, den Blick auf ihre Handys gerichtet. Sie werden lange von diesem Abenteuer zehren. Not. Eine halbe Stunde vor Flohmarktende ruft jemand: "Schlussrunde!" Das ist der Moment, wo man darüber nachdenkt, ob man das Zeug herschenkt oder wegbringt zum Mistplatz, wo es drittverwertet wird. Oder es wieder mit nach Hause nimmt. Wir schenken weitgehend alles her. Ein paar kinderreiche Familien tragen die Sachen einfach weg. Ich lasse einen kleinen, einäugigen Bären wieder in meiner Handtasche verwinden. Die Kinder zählen das Geld. Sie haben mehr als hundert Euro eingenommen. Abzüglich der Ausgaben, die ich hatte, ist es also ein Gewinn. Sie überlegen, ob sie sich davon ein Spiel kaufen oder einfach Esspapier, fünf Kilogramm. Wir nehmen alle Tiptoi-Bücher wieder mit nach Hause. Sie werden nie wieder angeschaut.