Ganz so schlimm muss Free Bleeding nicht ausgehen. Schließlich handelt es sich nur um 40 bis 65 Milliliter Menstruationsblut pro Regel.

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Es klingt etwas nach Aktivismus und auch ein wenig bedrohlich. Seit ein paar Jahren geistert der Begriff Free Bleeding durch die sozialen und klassischen Medien. Spätestens seit Kiran Gandhi 2015 den London-Marathon während ihrer Periode bestritt – und das auch alle wissen ließ. Weder ein Tampon noch eine Binde oder eine Menstruationstasse stoppte das Blut, das während des Marathons lediglich von ihrer Laufhose aufgesaugt wurde.

Gandhis Beweggründe waren tatsächlich politische. Sie wollte mit ihrem Blut auf das Tabu der Menstruation hinweisen, weshalb in Indien Frauen während ihrer Menstruation oft extrem eingeschränkt sind. Auch fehlt vielen Frauen schlicht das Geld für Hygieneprodukte. Doch in den westlichen Ländern hat Free Bleeding meistens weniger mit einer großen politischen Geste wie der Kiran Gandhis zu tun. Die Gründe für westliche Freebleederinnen sind unterschiedlich, sie reichen von der Unverträglichkeit von Hygieneproduktion bis hin zur Müllvermeidung.

Die Periode kennen

Somit gibt es auch bei der Bedeutung des Begriffs selbst Unterschiede: Während die einen – wie im Fall Gandhis – darunter verstehen, das Blut einfach rinnen zu lassen, um ein Zeichen gegen die ständig geforderte Unsichtbarkeit der Menstruation zu setzen, geht es für andere darum, den Verlauf ihrer Menstruation so gut zu kennen, dass sie ihr Blut gekonnt regelmäßig in die Toilette statt in Hygieneprodukte laufen lassen. Diese letztere Bedeutung hat somit nichts damit zu tun, selbstbewusst mit blutbefleckter Hose herumzulaufen.

Während der Periode wird Blut und Gebärmutterschleimhaut durch Muskelkontraktionen ausgestoßen und fließt deshalb nicht ständig, sondern in Schüben. Diese Kontraktionen spüren manche Frauen durch ein Ziehen im Unterleib – und wissen somit, wann sie auf die Toilette sollten. Im Netz gibt es inzwischen zahlreiche Anleitungen und Beiträge zu Free Bleeding.

Für Maria H. war Free Bleeding jedenfalls eine Befreiung. Die vielen Tampons während ihrer sehr starken Menstruation trockneten die Vagina aus, was Schmerzen beim Einführen verursachte. Spätestens am dritten Tag ihrer Regel verzichtete sie deshalb auf Tampons und machte so gute Erfahrungen damit, dass sie nach und nach ganz darauf verzichtete und nur mehr einen Stoffbinde als "Absicherung" verwendete, wie sie im Gespräch mit dem STANDARD erzählt. Erst richtete sie sich nach der Uhr und ging – wenn die Regel stark war – etwa jede halbe Stunde auf die Toilette, um das Blut abrinnen zu lassen. Später entwickelte sie ein Gefühl dafür, wann es nötig wurde.

Ambivalente Reaktionen

Maria hat Free Bleeding für sich entdeckt, noch bevor sie wusste, dass das Ganze einen Namen hat. Auf ihre Berichte darüber in ihrem Blog gab es ambivalente Reaktionen – von angeekelt bis sehr positiv. Viele sahen den Geruch als Problem, tatsächlich entsteht Marias Erfahrung nach dieser vor allem durch den Kontakt des Menstruationsbluts mit Hygieneartikeln, die oft parfümiert sind oder wegen der verwendeten Materialien unangenehm riechen. Dem pflichtet auch die Autorin, Youtuberin und Sex-Toys-Testerin Venus O'Hara bei. Ein weiterer Vorteil ist für O'Hara, dass man den kleinen Müllberg vermeidet, den man während jeder Periode produziert.

Der Verzicht auf Hygieneprodukte ist nach den Erfahrungen von O'Hara nicht nur der Umwelt, sondern auch der Vulva zuträglich. Diese sei nach einer Menstruation, die durchgehend mit Hygieneartikeln versorgt wurde, oft irritiert gewesen, erzählt sie in einem Video. Trotz der vielen Vorteile, von denen sie darin berichtet, betont O'Hara, dass Free Bleeding nicht für jede das Richtige sei. Sie selbst arbeitet etwa von zu Hause aus, was es leichter mache.

Venus O'Hara

Auch Maria hört oft, dass Free Bleeding im Alltag nicht praktikabel sei. "In vielen Jobs kann es tatsächlich schwierig sein, aber es muss ja nicht immer ein Entweder-oder sein", sagt sie. So könne man im Job Hygieneprodukte verwenden und daheim auf Free Bleeding setzen. Das müsste jede für sich herausfinden. "Ich selbst ging mal sehr blauäugig zum Yoga und fand heraus, dass in Kombination mit der Stellung der Kobra Free Bleeding nicht die beste Idee ist." Doch geht einmal etwas daneben, sei es auch kein Drama: "Das ist ja auch so ein Mythos, dass man dann plötzlich in einer Blutlache steht, schließlich geht es ja nur um ein paar Milliliter Blut."

Für Maria war Free Bleeding letztlich eine große Erleichterung, wie sie sagt. "So konnte ich mich mit meiner Regel versöhnen – dieser ganze Krampf, den ich so viele Jahre mit der Menstruation hatte, war vorbei." Auch habe sie den "natürlichen Zugang" zu ihrem Körper genossen. Man sollte die hormonellen Schwankungen während des Zyklus einfach akzeptieren, sagt sie, die Menstruation sollte auch eine Zeit der Ruhe sein. "Dieses lineare Funktionieren steht aber im Vordergrund, Frauen sollten an jedem Tag des Monats wie immer funktionieren und sich einfach zustöpseln." (Beate Hausbichler, 19.9.2019)