Bild nicht mehr verfügbar.

Das Walross ist ein Bewohner der Arktis und zirkumpolar verbreitet. Allerdings kommt es nicht mehr in allen Regionen vor, in denen es einst beheimatet war.
Foto: AP/Joel Garlich-Miller/U.S. Fish and Wildlife Service

Über lange Zeit hinweg waren die isländischen Küsten von Walrossen bevölkert – so, wie es im "benachbarten" Grönland und Spitzbergen heute noch der Fall ist. Warum die imposanten Robben, die es auf drei Meter Länge und eine Tonne Gewicht bringen, von Island verschwunden sind, hat eine internationale Forschergruppe nun näher untersucht. Ihre Ergebnisse sehen die Wissenschafter als typisch für einen Trend, der die Erde seit mittlerweile schon zehntausenden Jahren prägt und gegenwärtig seinen Höhepunkt erreicht.

Die alte Frage

Das Eiszeitalter brachte jede Menge riesiger Tierarten hervor, vor allem unter den Säugetieren. Dass sich nur ein kleiner Prozentsatz dieser Megafauna bis in die Gegenwart herüberretten konnte, hat zu einer wissenschaftlichen Debatte geführt, die ihrerseits gefühlt seit der Eiszeit tobt: Haben natürliche Faktoren wie etwa Klimaveränderungen die Eiszeitriesen aussterben lassen, oder war der jagende Mensch schuld?

Für Letzteres, die sogenannte Overkill-Hypothese, spricht der Umstand, dass das große Artensterben gestaffelt stattgefunden hat: In Australien setzte es vor knapp 50.000 Jahren ein, in den Amerikas vor 12.000 und auf Madagaskar, den Karibik-Inseln oder Neuseeland noch einmal um einige Jahrtausende später. Was all diese weit auseinanderliegenden Daten gemeinsam haben: Sie fallen stets verdächtig mit dem Zeitraum zusammen, in dem sich der Mensch in den betreffenden Regionen ausbreitete.

Die isländischen Walrosse

Im Kleinformat spiegelt sich dieser globale Trend auch auf Island wider, wenn es nach der Studie eines Teams isländischer, dänischer und niederländischer Forscher geht, die im Fachmagazin "Molecular Biology and Evolution" erschienen ist. Studienleiterin Xénia Keighley und ihre Kollegen zogen zum einen historische Dokumente inklusive der berühmten Isländersagas heran, in denen die Jagd auf Walrosse erwähnt wird. Zum anderen untersuchten sie Überreste von Walrossen, die auf Island gefunden wurden, datierten sie per Radiokarbonmethode und führten genetische Analysen durch.

Eines der Ergebnisse lautet, dass Island die Heimat einer ganz eigenen Walrosspopulation war. Diese Tiere unterschieden sich genetisch von allen heutigen Walrossen im Nordatlantik, aber auch von Artgenossen, die zur selben Zeit wie sie in anderen Regionen lebten.

Diese isländische Population hatte den datierten Funden zufolge über Jahrtausende hinweg Bestand. Sie verschwand jedoch bald, nachdem die Insel von den Wikingern besiedelt worden war. Schon zuvor hatten vereinzelt Menschen Island bewohnt, doch erst im späten 9. Jahrhundert etablierte sich eine dauerhafte Bevölkerung. Und schon starben die Walrosse aus.

Bild nicht mehr verfügbar.

Globalismus im Mittelalter: Die Lewis-Schachfiguren wurden im 12. Jahrhundert in Norwegen hergestellt. Das Schachspiel war aus dem arabischen Raum nach Europa gekommen, das Material für die Figuren lieferten die Zähne von Walrossen und Walen aus dem Arktischen Ozean.
Foto: REUTERS/Suzanne Plunkett

Studienkoautor Morten Tange Olsen sieht in den Ergebnissen einen weiteren Beleg für den seit der Eiszeit anhaltenden Großtrend: "Wo immer Menschen auftauchen, leiden die Umwelt und das Ökosystem." Der Fall Island ist allerdings besonders interessant, denn er schlägt einen Bogen von der Steinzeit zur Moderne. Prähistorische Ausrottungswellen lassen sich noch darauf zurückführen, dass die damaligen Menschen ihren Eigenbedarf an Fleisch und anderen Tierprodukten decken mussten. Bei den Walrossen hingegen war bereits eine kommerzielle Komponente im Spiel.

Keighley weist darauf hin, dass Walrosselfenbein im Mittelalter ein begehrtes Gut war. Die Stoßzähne wurden in ganz Europa gehandelt, manche sind sogar bis in den Nahen Osten und nach Indien gelangt. Schon vor über 1.000 Jahren habe damit eine Situation vorgelegen, die mit der heutigen durchaus vergleichbar sei: Ausreichend gut ausgebaute Handelsnetze und internationale Nachfrage liefern den Anreiz für kommerzielle Jagd – und die kann bis zur Ausrottung ganzer Tierarten führen. (jdo, 22. 9. 2019)