Viele Wissenschafter dürften sich nicht über die Berühmtheit gefreut haben, die sie durch ihre Arbeit im Zusammenhang mit dem Bau der ersten Atombombe erlangten. Ganz besonders galt das vermutlich für Klaus Fuchs. Aber immerhin kam seine Verhaftung im Februar 1950 viel zu spät, um seine Überzeugungstat noch verhindern zu können.

Zu diesem Zeitpunkt hatte der 1933 vor den Nazis aus Deutschland geflüchtete theoretische Physiker bereits "größeren Schaden angerichtet als jeder andere Spion in der Geschichte", wie es ein Bericht des US-Kongresses drastisch formulierte. In der Sowjetunion sah man das naturgemäß anders.

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Fuchs beim Lesen der "Times" in der DDR 1960. Großbritannien hatte ihn wieder ausgebürgert.
Foto: Picturedesk

Kontinuierliche Berichte

Acht Jahre lang hatte Fuchs im geheimen Herzen der britischen und US-amerikanischen Nuklearforschung gearbeitet – und über die gesamte Zeit hochrelevante Informationen an Moskau weitergegeben. Insbesondere während seiner Zeit in Los Alamos, wo Fuchs ab 1944 selbst wichtige theoretische Beiträge zum Bau der Plutoniumbombe lieferte und bis 1946 auch Einblick in die Forschung zur Wasserstoffbombe hatte, war er für die Sowjetunion eine unschätzbar wertvolle Quelle.

Während die USA und Großbritannien ihrem wichtigsten Verbündeten im Kampf gegen Nazideutschland misstrauten und die UdSSR von Anfang an über die eigenen nuklearen Ambitionen vollkommen im Dunkeln ließen, wusste man in Moskau schon ab 1941 erstaunlich gut Bescheid. Fuchs war natürlich nicht der einzige Spion, der Infos über die westliche Atomwaffenforschung leakte. Aber seine außergewöhnliche Laufbahn erlaubte es ihm, kontinuierlich und aus erster Hand über die wichtigsten Entwicklungen zu berichten – von den frühen Machbarkeitsstudien in Großbritannien über das Manhattan-Projekt in Los Alamos bis hin zum britischen Atomwaffenprogramm nach dem Krieg.

Versagen der Geheimdienste

Am bemerkenswertesten daran ist, dass Fuchs, ein erklärter Kommunist und Spion aus Überzeugung, nicht schon früher aufgeflogen ist, mehr noch: dass er überhaupt die Gelegenheit bekommen hat, sich an militärischen Forschungsprojekten der größten Geheimhaltungsstufe zu beteiligen. Immerhin war er dem britischen Inlandsgeheimdienst MI5 schon 1934 aufgefallen und seither immer wieder in dessen Visier geraten, wie der britische Physiker Frank Close in seinem neuen Buch "Trinity. The Treachery and Pursuit of the Most Dangerous Spy in History" aufzeigt.

Frank Close, "Trinity". € 28,99 / 528 Seiten. Allen Lane, London 2019.
Cover: Allen Lane

Wie in einem Thriller zeichnet Close das abenteuerliche Leben von Klaus Fuchs und seinen wissenschaftlichen Weggefährten nach, die nichts von seiner Spionagetätigkeit ahnten. Neben Rudolf Peierls, der Fuchs überhaupt erst ins nuklearwissenschaftliche Boot holte, zählte auch Otto Robert Frisch dazu. "Ich achtete ihn sehr, nicht nur wegen seiner Fähigkeiten in der mathematischen Physik, sondern auch für die humane Weise, mit der er sich für seine Leute einsetzte", schrieb Frisch in seiner 1979 erschienenen Autobiografie.

Close rollt in "Trinity" aber nicht nur spannungsreich Fuchs' Werdegang vom verfolgten deutschen Kommunisten zum britischen Spitzenforscher und russischen Topagenten auf und erzählt dabei elegant die Entwicklungsgeschichte der Atombombe in all ihren wissenschaftlichen und politischen Facetten. Er legt auch eine exzellente, akribische Aufarbeitung der vielen Fehler und Versäumnisse vor, die den britischen und US-amerikanischen Geheimdiensten im Lauf der Jahre unterliefen.

"Kompletter Idiot"

So entging Fuchs in den bürokratischen und diplomatischen Wirren des Zweiten Weltkriegs gleich mehrfach rigorosen Überprüfungen, ob er für die hochsensible Forschungsarbeit überhaupt geeignet sei. Als Fuchs durch die Entschlüsselung sowjetischer Geheimnachrichten 1949 schließlich endgültig ins Fadenkreuz der Nachrichtendienste geriet und einige Monate später verhaftet wurde, hatte die Sowjetunion gerade ihren ersten erfolgreichen Atombombentest absolviert.

Fuchs' Umfeld konnte es zunächst nicht fassen, dass der zurückhaltende wie brillante Wissenschafter all die Jahre ein Doppelleben geführt haben sollte. Doch sein Geständnis räumte alle Zweifel aus. Peierls fühlte sich wie ein "kompletter Idiot", wie er seiner Frau in einem abgehörten Telefonat anvertraute.

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Trinity-Test: Die erste Atombombenexplosion der Geschichte erfolgte am 16. Juli 1945 in New Mexico.
Foto: AP

Aufrichtiger Agent

Fuchs wurde in Großbritannien zu 14 Jahren Gefängnis verurteilt, nach seiner Begnadigung 1959 ging er in die DDR, wo er großen Einfluss auf die Forschungspolitik erlangte. Zur Spionage habe er sich entschlossen, so berichtete er später, als er realisierte, dass die USA und Großbritannien die Atombombe vor der Sowjetunion geheim hielten. Zu riskant erschien ihm eine einseitig aufgerüstete Welt, zu groß die Gefahr eines atomaren Angriffs auf die UdSSR.

Dass Fuchs' Sorge nicht ganz unberechtigt war, zeigt schon das Plädoyer einiger amerikanischen Militärs unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, die "Superbombe" auch gegen die Sowjetunion einzusetzen, um neue weltpolitische Tatsachen zu schaffen. Zwar blitzten sie damit bei der US-Administration ab. Fuchs und andere hätten aber womöglich dennoch unzählige Menschenleben gerettet, indem ihre Spionage den zeitnahen Bau der sowjetischen Bombe erst ermöglichte und damit das "Gleichgewicht des Schreckens" durch gegenseitig zugesicherte Zerstörung im Kalten Krieg einleitete.

Für Otto Robert Frisch blieb Fuchs stets ein Mann des Gewissens, wie er in seinen Erinnerungen festhielt: "Noch heute bin ich der Ansicht, dass er in voller Aufrichtigkeit handelte." (David Rennert, 21.9.2019)