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PRO: Es gibt kluge Wahlzuckerln

von Gerald John

In der Vorwahlzeit sitzt das Geld locker. Von koalitionären Fesseln befreit, schließen die Parteien im freien Spiel der Kräfte bunte Allianzen, um noch rasch ein paar Gesetze durchzudrücken. Schon erhebt der Finanzminister mahnend den Finger.

Braucht es da eine Beschränkung, um die Parlamentarier am Verteilen zu hindern? Es ist falsch, Wahlzuckerln per se zu verdammen. Natürlich haben Volksvertreter auch den Stimmenfang im Hinterkopf – doch es kommt vor, dass Politiker trotz egoistischer Motive das Richtige tun.

Die nun fixierte Senkung der Sozialversicherungsbeiträge etwa ist in manchem Detail zwar fragwürdig, grundsätzlich aber eine höchst sinnvolle Maßnahme, die Kleinverdiener stützt und den Konsum ankurbelt. Der Zeitpunkt passt umso besser, als die Wirtschaft zu schwächeln droht.

Überfällig war auch die dauerhafte Valorisierung des Pflegegeldes, die ebenso erst nach dem Fall der Regierung gelang. Aber kommt das die Steuerzahler hinterher nicht teuer zu stehen? Ja – aber das hätte sonst für Pflegegeldbezieher gegolten, deren Leistung stetig an Wert verlor.

Andere Ideen mögen weniger klug sein, aber ein größtmöglicher Unsinn wie der Ausbau der Hacklerfrühpension 2008 ist dieses Jahr nicht dabei. Und selbst wenn: Fehlentscheidungen gehören nun einmal zum Risiko der Demokratie. Es soll ja Regierungen geben, die auch fernab aller Wahlkampfzeiten nicht vor Dummheiten gefeit sind. (Gerald John, 19.9.2019)

KONTRA: Gar nicht süße Wahlzuckerln

von Conrad Seidl

In den letzten Tagen einer Legislaturperiode gewinnt man den Eindruck, dass die Parteien zu jenem Gestaltungswillen finden, den sie seit der vorigen Wahl nicht aufbringen konnten. Noch schnell eine ideologisch begründbare Duftmarke hier, noch schnell eine für die bisherige Regierung undenkbare Festlegung dort.

Vor allem: noch schnell ein bisserl Geld für die eine oder andere als besonders wichtig angesehene Gruppe von Wahlberechtigten lockergemacht. Ein paar Tage vor der Wahl schmecken Wahlzuckerln angeblich besonders süß.

Stimmt aber nicht: Wie man aus Umfragen weiß, ist ein großer Teil der Wählerschaft schon viele Wochen vor der Wahl in seiner Entscheidung weitgehend festgelegt.

Was natürlich nicht heißt, dass man eine Steuerentlastung, Pensionserhöhung oder sozialrechtliche Besserstellung nicht gerne nehmen würde – nur ist Dankbarkeit dafür keine Kategorie, in der Wähler denken. Politiker aber denken da anders, sie hoffen nicht nur auf ein paar Stimmen, sie genießen auch ein wenig die Selbstverwirklichung. Gezahlt wird ohnehin später, nach der Wahl – und wer weiß, wer dann die Koalition stellt, die all die teuren Beschlüsse verwalten muss. Es ist erst zwei Jahre her, dass Kanzlerkandidat Sebastian Kurz eine verfassungsrechtliche Sperre gegen teure Nationalratsbeschlüsse in letzter Minute vorgeschlagen hat. Er hat sie nicht auf den Weg gebracht. Mehr noch: Auch die ÖVP spielt jetzt munter mit. (Conrad Seidl, 19.9.2019)