Der Pilz'sche Fingerzeig gilt der ÖVP, bei der der Jetzt-Abgeordnete einen "False-Flag-Angriff" rund um ihren Datenleak vermutet – Justizminister Jabloner (links) kalmierte.

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Das freie Spiel der Kräfte ging am Donnerstag in die Nachspielzeit. Von vormittags bis spätabends war die Tagesordnung des Nationalrats randvoll mit Anträgen gefüllt – wechselnde Mehrheiten abseits koalitionärer Bindungen sorgten für gehörigen Schwung im Plenarsaal.

Der eigentliche Anlass der Sondersitzung bildete zwar den emotionalen Höhepunkt des Tages, brachte allerdings inhaltlich kaum neue Erkenntnisse. In einem seiner vielleicht letzten großen Parlamentsauftritte wartete Peter Pilz mit einer Anfragenkaskade an Justizminister Clemens Jabloner auf. In 98 Punkten wollte Pilz mehr über die Hintergründe des Datenleaks aus der ÖVP-Zentrale wissen. Der offiziellen türkisen Version der Geschichte, wonach alle Daten durch einen Hackerangriff an die Öffentlichkeit gelangt sind, kann der altgediente Abgeordnete nämlich wenig abgewinnen.

Auf Verlangen von Peter Pilz kam es am Donnerstag zu einer Sondersitzung des Nationalrats. Im Zentrum standen die Zweifel der Liste Jetzt um die mutmaßliche Hackeraffäre bei der ÖVP.
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Pilz zweifelt an Cyberattacke

Pilz offeriert eine andere Version: Die ÖVP habe den Cyberangriff womöglich selbst inszeniert, um einen Maulwurf in den eigenen Reihen zu verschleiern, der die Dokumente vorab an die Medienübermittelt habe. Vieles deute auf einen solchen "False-Flag-Angriff" hin. Dessen Zweck – laut Pilz: "die Desinformation der österreichischen Bevölkerung". Zwischendurch glitt die Rede beinahe ins kabarettistische Fach ab, als Pilz zum Beweis der Fälschungsaffinität der Volkspartei die Szenen eines Videozusammenschnitts nachstellte, der im Internet momentan für Furore sorgt.

In einer Szene aus dem Jahr 2017 behauptet Kurz, er stamme aus dem Wiener Arbeiterbezirk Meidling; in einer sehr ähnlichen Szene 2019 verortet Kurz sein Aufwachsen hingegen im Waldviertel. Für Pilz ein gefundenes Fressen: "Jemand, der seinen Geburtsort fakt, ist auch in der Lage, einen Hackerangriff zu faken", führte er zum Gaudium des Plenums aus.

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Jabloner warnt vor Spekulationen

Die Antworten von Justizminister Jabloner waren ruhiger und weniger pointenreich. In stoischem Schönbrunner Deutsch warnte er vor voreiligen Schlüssen und überschießenden Spekulationen. Die Ermittlungsbehörden würden mit Hochdruck arbeiten und auch mit Europol kooperieren. Zu Detailfragen laufender Ermittlungsverfahren wollte Jabloner nichts sagen. Der Verdacht, dass sich ein unbekannter internationaler Täter Ende Juli ins Netzwerk der ÖVP eingehackt habe, habe sich jedenfalls bestätigt. Für das Vortäuschen einer strafbaren Handlung – Stichwort False-Flag-Operation – gebe es hingegen keine Anhaltspunkte.

Gegen Abend hin kam es dann in Sachfragen zu Bündnissen verschiedener Farbkombinationen. Eine Maßnahme davon ist das "Comeback der Aktion 20.000", der alle Fraktionen mit Ausnahme der Neos zustimmten. Wobei schon dieses Wording zwischen den Bündnispartnern umstritten ist. Die SPÖ will in dem Gesetz jedenfalls die Wiederauflage des roten Prestigeprojekts ihres einstigen Kanzlers Christian Kern zur Unterstützung älterer Langzeitarbeitsloser erkennen, das von der Kurz-Regierung als eine der ersten Amtshandlungen jäh beendet wurde.

Am Abend ergaben sich Bündnisse in den unterschiedlichsten Farbkombinationen.
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Aktion 20.000

Eine Interpretation, die man bei ÖVP und FPÖ nicht teilt. Mit der Aktion 20.000, die nach ihrer Auffassung kolossal gescheitert sei, habe man nichts am Hut, beeilten sich Vertreter von Türkis und Blau zu versichern. Fakt ist, dass dem AMS künftig 50 Millionen Euro aus dem Budget zur Verfügung gestellt werden, die gezielt zur Förderung von Jobs für Langzeitarbeitslose verwendet werden, die älter als fünfzig sind. Die genaue Ausgestaltung der Förderkriterien wird vom AMS übernommen. Während jedoch im Rahmen der Aktion 20.000 nur Jobs im öffentlichen Sektor – etwa bei Gemeinden oder gemeinnützigen Vereinen – vom Staat gestützt wurden, soll das AMS demnächst auch die Lohnkosten von privatwirtschaftlichen Unternehmen subventionieren, sofern diese ältere Langzeitarbeitslose einstellen.

Steuerreform

Im Zentrum der von ÖVP und FPÖ initiierten Steuerreform steht die Entlastung von Kleinverdienern. Ab 2021 bekommen steuerpflichtige Arbeitnehmer mit einem maximalen Jahreseinkommen von 21.500 Euro einen Sozialversicherungsbonus von bis zu 300 Euro. Bei Selbstständigen und Landwirten werden die Krankenversicherungsbeiträge gesenkt. Hier wächst der Vorteil linear mit dem Einkommen, die maximale Entlastung liegt bei 371 Euro. SPÖ und Jetzt sprechen von Klientelpolitik für Gutverdiener.

Die ÖVP unterstreicht ihren Standpunkt in Form von Taferln – eine sehr beliebte Ausdrucksform in Lagern jeglicher Couleur.
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Pensionsreform

Auch Pensionisten profitieren von der Steuerreform und erhalten einen Sozialversicherungsbonus. Außerdem wurde eine gestaffelte Pensionserhöhung für das kommende Jahr beschlossen. Niedrige Pensionen bis 1111 Euro steigen demnach um 3,6 Prozent, die übrigen Pensionen um 1,8 Prozent, wobei ein Deckel von 94 Euro eingezogen wird. Die zusätzlichen Kosten für die außerordentliche Pensionserhöhung werden auf 367,6 Millionen Euro geschätzt. Die Neos stimmten als einzige Fraktion dagegen.

Asylwerber in Lehre

Zu einem Kompromiss kam es beim Thema Asylwerber in Lehre. Derzeit gibt es rund 900 Lehrlinge, die mittlerweile – also seit Beginn ihres Lehrlingsverhältnisses – einen negativen Bescheid erhalten haben und deshalb kurz vor der Abschiebung stehen. Die geplatzte Rechtsregierung hatte sich stets vehement gegen einen Abschiebestopp ausgesprochen, wohingegen eine breite Initiative des grünen oberösterreichischen Landesrats Rudi Anschober die Lehrlinge vor Abschiebung zu bewahren versucht. Die FPÖ blieb am Donnerstag freilich bei ihrer Linie.

Entschließungsantrag

Die ÖVP vollzog indes einen sanften Schwenk und unterstützte einen Entschließungsantrag an Innenminister Wolfgang Peschorn. Von diesem wünscht man sich eine "pragmatische Lösung" des Problems, was auf einen Erlass des Innenmisters hinauslaufen soll, der den betroffenen Asylwerbern den Abschluss ihrer Lehre in Österreich gewährt. SPÖ, Neos und Liste Jetzt hätten sich eigentlich eine explizite Gesetzesänderung im Bleiberecht gewünscht, um gleich Nägel mit Köpfen zu machen und nicht auf die Entscheidung des Innenministers angewiesen zu sein. Auch Anschober hatte für diese Lösung geworben – so weit ging der Schwenk der ÖVP bislang doch wieder nicht. (Theo Anders, 19.9.2019)