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Gunter Demnig bei der Verlegung von Stolpersteinen in Kopenhagen im Juni dieses Jahres.

Foto: Reuters

Zell am Ziller – Am Freitagabend wurde der erste Stolperstein Tirols verlegt. Vor der alten Schule in der Zillertaler Gemeinde Zell am Ziller wird damit Johann "Hans" Vogls gedacht. Der ehemalige Hauptschuldirektor wurde am 30. Juni 1944 als Widerstandskämpfer gegen das nationalsozialistische Terrorregime hingerichtet. Er hinterließ eine Frau und vier Kinder. So sehr sich die Initiatoren des ersten Stolpersteines in Tirol – mittlerweile existieren mehr als 70.000 solcher Denkmäler in über 2.000 Kommunen, um an die Opfer des NS-Regimes zu erinnern – über die Verlegung freuen, so schwingt doch auch Enttäuschung mit. Denn eigentlich wollte man des Ehepaars Vogl gedenken.

Anneliese Brugger, einzige SPÖ-Gemeinderätin in Zell, und der pensionierte Anwalt Josef Thaler scheiterten jedoch mit dem Antrag, auch für Hilde Vogl einen Stolperstein verlegen zu dürfen, am Zeller Gemeinderat. Dort stimmten die der ÖVP und FPÖ zugehörigen Abgeordneten dagegen. Mit Kosten hat die Ablehnung nichts zu tun, denn die hätte Anwalt Thaler getragen, der auch den Stolperstein für Hans Vogl finanzierte. SPÖ-Gemeinderätin Brugger vermutet hinter dem Veto grundsätzliche Ablehnung: "Die Stimmung gegenüber dem Vorhaben war von Beginn an negativ. Schon die Anträge zur Verlegung des ersten Stolpersteines blieben ewig liegen, und ich musste immer wieder mit Nachdruck auf die Erledigung hinweisen."

Plötzlicher Widerstand im Gemeinderat

Brugger glaubt, dass der erste Stolperstein-Antrag schließlich "durchgerutscht" sei: "Er wurde letztlich ohne Gegenstimme angenommen, es gab dazu keinerlei Diskussion im Gemeinderat. Als ich dann aber den zweiten einreichte, änderte sich das." Widerstand kam vom FPÖ-Mandatar Christoph Steiner, der für die Blauen auch im Bundesrat sitzt. Auf Nachfrage des STANDARD erklärte Steiner seine ablehnende Haltung damit, dass es seines Wissens noch nie einen Stolperstein für eine Witwe eines vom NS-Regime Getöteten gegeben habe.

Er habe sich erkundigt und dabei herausgefunden, dass Stolpersteine nicht für Angehörige von Opfern gedacht seien. Doch damit liegt der blaue Bundesrat falsch, denn auf der Homepage des Stolperstein-Gründers Gunter Demnig, der auch jenen in Zell verlegt, wird genau das dezidiert gewünscht. Auf diese Argumentation des FPÖ-Politikers angesprochen, reagierte Demnig sehr deutlich: "Das ist absolut verlogener Blödsinn." Die Stolpersteine seien dazu gedacht, auf Familienschicksale aufmerksam zu machen – und das werde auch ausdrücklich so erklärt.

FPÖ-Bundesrat will Denkmal für Kriegerwitwen

Im Gemeinderat verlangte Steiner für seine Zustimmung zum Stolperstein für die Witwe Vogls im Gegenzug ein Denkmal für alle Kriegerwitwen des Ortes. Denn die hätten seiner Meinung nach dasselbe durchgemacht wie Hilde Vogl. Zudem stütze er sich auf eine Auskunft der Kulturabteilung des Landes Tirols, die einen Stolperstein für Hilde Vogl ebenfalls für unangebracht halte.

Davon weiß man im Büro der für Kultur zuständigen Landesrätin Beate Palfrader (ÖVP) allerdings nichts. Man sei zudem gar nicht für die Verlegung von Stolpersteinen zuständig, sofern diese nicht auf Landesgrund erfolge, was in Zell nicht der Fall ist. SPÖ-Gemeinderätin Brugger erhielt von der Kulturabteilung des Landes vielmehr die Auskunft, dass ein Stolperstein für Hilde Vogl zu begrüßen sei.

ÖVP-Bürgermeister: "Unfair gegenüber NS-Opfern"

Doch nicht nur die FPÖ, auch die ÖVP in Zell am Ziller ist gegen einen Stolperstein für Hilde Vogl. Bürgermeister Robert Pramstrahler erklärt dazu, dass er zwar sehr stolz sei, dass in seiner Gemeinde Tirols erstes derartiges Denkmal verlegt werde. Aber das Schicksal der Witwe eines vom NS-Regime Ermordeten sei eben nicht mit jenem des Ermordeten selbst gleichzusetzen: "Das wäre ungerecht gegenüber den Opfern des Nationalsozialismus." Auch Pramstrahler verweist im Gespräch auf die Expertise eines Historikers des Landes Tirols, den man konsultiert habe und der diese Haltung teile.

Auf Nachfrage, wer dieser Historiker sei, verweigert er aber nähere Auskünfte: "Ich weiß nicht, ob der Herr will, dass sein Name genannt wird" Dass ÖVP und FPÖ im Zeller Gemeinderat geschlossen gegen den Stolperstein für Hilde Vogl gestimmt haben, will der Bürgermeister keinesfalls als parteipolitisches Verhalten gedeutet wissen: "Unsere Bedenken waren, dass man diese Schicksale nicht gleichsetzen sollte." Pramstrahler sei wichtig, dass der Stolperstein für Hans Vogl thematisiert werde und nicht die Entscheidung gegen jenen für seine Witwe.

Historiker widerspricht Argumentation der Gemeinde

Ein Historiker, der namentlich zur Sache Stellung bezieht, ist Horst Schreiber von der Universität Innsbruck. Er gilt als ausgewiesener Experte für die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit Tirols und hat gerade erst sein neues Buch "Gedächtnislandschaft Tirol" zu diesem Thema veröffentlicht. Darin wird auch das Schicksal der Familie Vogl erneut aufgearbeitet, das schon in anderen Publikationen, an denen er beteiligt war, sehr akribisch dokumentiert wurde.

Schreiber kann der Argumentation der Zeller Politiker gegen Hilde Vogls Stolperstein wenig abgewinnen: "Die Frauen der Ermordeten waren im Dorf geächtet, litten häufig Not, weil der Verdiener wegfiel, und mussten allein ihre Familie durchbekommen. Häufig wurden Unterstützungen gekürzt. Auch nach 1945 änderte sich an dieser Situation oftmals wenig. Auf alle Fälle haben sie jahrzehntelang keine Anerkennung erhalten als Angehörige eines Widerstandskämpfers."

Anders sei dies bei den Hinterbliebenen von Wehrmachtssoldaten gewesen, für die FPÖ-Bundesrat Steiner gern ein Denkmal setzen würde, erklärt Schreiber: "Anerkennung bekamen die Kriegerwitwen während des Krieges von der NS-Volksgemeinschaft, der Gesellschaft und den Parteien nach 1945. Die Erinnerung an ihre Männer, Stichwort Kriegerdenkmäler, wurde immer hochgehalten."

Demnig will aus Protest Platzhalter-Stein verlegen

Der Gründer der Stolpersteine, Gunter Demnig, erfuhr durch die Anfrage des STANDARD während seiner Anreise nach Tirol erstmals von der politischen Diskussion, die der Verlegung in Zell vorangegangen war. Er machte aus seiner Empörung über die Argumentation, vor allem jener des FPÖ-Politikers Steiner, keinen Hehl und kündigte an, die Sache nicht auf sich beruhen zu lassen. Er werde am Freitagabend einen Platzhalterstein für Hilde Vogl verlegen. Er hoffe, dass die Gemeinde Zell einlenke und man der ganzen Familie gedenke. (Steffen Arora, 21.9.2019)