Neu ist der Vorschlag nicht: Schon vor hundert Jahren, im Mai 1919, sprachen sich mehr als 81 Prozent der Vorarlberger für Verhandlungen ihres Bundeslandes aus, um als Kanton in die Schweizerische Eidgenossenschaft aufgenommen zu werden. Der Schweizer Bundesrat lehnte das Ansinnen damals ab. Ein Kantonsrat im Ostschweizer Kanton St. Gallen will dieser Idee nun zu neuer Dynamik verhelfen. Steht der Gsixit vor der Tür, und wird Vorarlberg nun Teil St. Gallens oder gar der 27. Kanton der Schweiz?

Im Bundeshaus in Bern sind alle Kantone in den Glasfenstern der Kuppel vereinigt. Alle, bis auf den Kanton Jura. Der kam erst später, im Jahr 1978, dazu um erhielt sein Wappen lediglich in der Stuckdecke integriert. Da wäre auch für den Kanton Vorarlberg Platz. (Ja, es sind nur 22 Segmente. Die sechs später geteilten Halbkantone teilen sich jeweils ein gemeinsames gläsernes Wappen.)
Foto: Michael Vosatka

In einer Interpellation an die St. Galler Kantonsregierung schreibt Martin Sailer, zwar trenne der Rhein die Schweiz und Vorarlberg, könne aber auch zu einem verbindenden Element werden. "Wir haben dieselbe Sprache und eine sehr ähnliche Kultur", heißt es in der Eingabe. Und in der Tat sind sich St. Galler und Vorarlberger sprachlich näher als Letztere mit dem Rest Österreichs. Nicht ohne Grund heißt es ja schließlich, was Gott durch einen Berg getrennt hat, solle der Mensch nicht mit einem Tunnel verbinden.

Der Rhein trennt Vorarlberg und die Schweiz bis in den Bodensee hinein.
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Drei Fragen

Der 48-Jährige legt Wert darauf, dass er nicht polarisieren will und niemandem etwas weggenommen wird. Es handle sich bei seiner Eingabe lediglich um eine Interpellation – drei Fragen an die Kantonsregierung, die diese nun beantworten würde, entweder bei der nächsten Sitzung im November oder gar erst im Frühjahr. Er könne dann drei Minuten lang darauf antworten.

Die Fragen, die Sailer seiner Regierung stellt, lauten: "1. Wie steht die Regierung zu diesem – zugegebenermassen – tollkühnen Plan? 2. Wie könnte man vorgehen, den Puls der St. Galler und der Vorarlberger Bevölkerung repräsentativ zu spüren? 3. Was wären die nächsten, politisch korrekten Schritte?"

Martin Sailer hat drei Fragen an seine Regierung.
Foto: Martin Sailer

Überraschend krass

Dass in Österreich nun Blätter schreiben, die Schweizer wollten sich Vorarlberg "einverleiben" und "uns wegnehmen", irritiert Sailer. Dass die Reaktionen "so krass" sind, damit habe er nicht gerechnet, sagt der Kantonsrat zum STANDARD. Er wolle lediglich hundert Jahre nach der Abstimmung den Puls der Bevölkerung spüren und wissen, wie die Menschen in dieser Frage fühlen.

SPKantonStGallen

Sailer hat natürlich trotzdem den Zeitpunkt seiner Interpellation gut ausgesucht – schließlich ist er schon im Mai durch die Berichte über das Hundert-Jahr-Jubiläum der Abstimmung auf das Thema gestoßen. "Vorarlberg online" hatte zu dem Termin eine Umfrage laufen, die auch mehrheitlich zu einer Eingliederung Vorarlbergs in die Schweiz tendierte. Er hätte seine Eingabe schon früher machen können, sagt Sailer. Doch auch in der Schweiz stehen am 20. Oktober Parlamentswahlen an, und der Kulturunternehmer aus Unterwasser in der Gemeinde Wildhaus-Alt St. Johann kandidiert auf der Liste der Sozialdemokratischen Partei. St. Gallen verfügt über zwölf der 200 Sitze im Nationalrat in Bern, und diese Plätze sind heißumkämpft. "Ich rechne mir schon eine Chance aus", sagt der Kulturpolitiker, für den sogar ein eigener Wahlkampfsong geschrieben wurde.

Sailer ist das Gegenteil eines Berufspolitikers, eher was man landläufig einen bunten Hund nennen würde – nachdem er früher als Lehrer gearbeitet hat, leitet er nun die Kleinkunstbühne Zeltainer in Unterwasser. Daneben entwickelt er Intelligenzspiele für Hunde und Katzen. Kantonsrat wurde er erst 2016.

hundespielepunktCH

Wahlkampf hin oder her – Sailer hofft, dass seine Intention nicht missverstanden wird. "Ich wollte eine Diskussion anstupsen", sagt er – dies ist ihm jedenfalls gelungen. Er schaue sich sicher nicht alle Kommentare zu den Meldungen über seinen Vorstoß an, aber es seien schon einige darunter, die fast schon Angst machen würden. Die Interpellation habe er jedenfalls mit einem Augenzwinkern verfasst, und ein Augenzwinkern erwarte er auch bei der Antwort der St. Galler Regierung, wenn aber auch mit einer ernsthaften Einschätzung.

Wie auch immer die Antwort der Kantonsregierung ausfällt, von der Ostseite des Rheins wird noch keine Zustimmung zu der Idee signalisiert. Die Reaktionen aus dem offiziellen Vorarlberg sind zumindest derzeit noch in der Stoßrichtung eher ablehnend. Der Vorarlberger Grüne Johannes Rauch bezeichnet den Vorstoß aus der Schweiz gegenüber vol.at gar als "verspäteten Aprilscherz oder verfrühten Faschingsscherz". Wenn man es ernst nehmen würde, müsste man "diplomatische Maßnahmen ergreifen".

VOL.AT - Vorarlberg Online

(Michael Vosatka, 20.9.2019)