Künstler Eduard Freudmann hat das Befreiungsdenkmal im Grazer Burggarten zum pinken Obelisken umgebaut, auf dem der Schriftzug "ÖDUOPFER" prangt.

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Bodybuilder, die zu Skulpturen werden: Die Künstler Jakob Lena Knebl und Markus Pires Mata retteten mit ihrer Performance "The Style Council" den Eröffnungsabend beim Steirischen Herbst.

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Das Licht fällt gut auf das Befreiungsdenkmal im Grazer Burggarten. Der Künstler Eduard Freudmann hat es zum pinken Obelisken umgebaut, auf dem der Schriftzug "ÖDUOPFER" prangt. Der Installateur ist anwesend und erklärt den Hintergrund seiner Arbeit. Österreich habe sich sowohl als erstes Opfer Nazideutschlands dargestellt als auch als Opfer der Alliierten – die beiden widersprüchlichen Erzählungen würden parallel existieren, ein Merkmal der schizophrenen österreichischen Seele.

Das oder der Monumyth, wie die Intervention Freudmanns heißt, wäre in seiner Plakativität fast unerträglich, hätte nicht noch eine andere Intervention stattgefunden. Am Dienstag wurde der Obelisk aufgebaut, in der Nacht auf Mittwoch tat sich bereits ein Sprayer daran gütlich. In g'sunder, steirisch-grüner Farbe schrieb er lässig "I <3 Ö" über den Schriftzug. Wer ist hier das Opfer, scheint der Sprayer den Künstler zu fragen. Er taggte sich vielleicht unwissentlich in die Tradition des Steirischen Herbsts ein, eines Festivals, das immer auf Interaktion zwischen Publikum und Kunst aus war.

Der Künstler selbst wirkte eher betroppetzt. Er betonte, dass das Graffito kein Teil des ursprünglichen Kunstwerkes war; hier habe sich "ein anderer Künstler verwirklicht". Sprach's und lachte halbherzig.

Humorlos mit Zeigefinger

Dabei kann man eigentlich nur hoffen, dass einigen Installationen beim Steirischen Herbst widerfährt, was Freudmanns Monumyth widerfahren ist. Viel zu viele von ihnen sind in ihrer Konzeption humorlos und vorhersehbar, didaktische Emanationen einer Kunst des erhobenen Zeigefingers, die ohne Metaebene zu den Bekehrten predigt. Jeremy Dellers Film Putin's Happy konzentriert sich auf die Tragikomik der Brexiteers; der Londoner Künstler begleitet sie bei ihren Demonstrationen – keine Pointe.

Jasmina Cibic schießt mit ihrer abgespacten und hochallegorischen filmischen Arbeit Das Geschenk – 1. Akt dafür etwas über das Ziel hinaus. Personifizierte Kunstgattungen bieten sich in einer gespaltenen Nation als Geschenk an. Sie verhandelt damit politisch motivierte Schenkungen in der Kunst- und Architekturgeschichte Europas. Das Ergebnis könnte ästhetisch gesehen der x-te Teil der Hunger Games-Filme sein und wird – verquickt mit dem Konzept des Parisurteils – auch nicht belangvoller.

Idee okay, Umsetzung sinnlos

Artur Zmijewski hat einen Leerstand in der Girardigasse in eine Änderungsschneiderei umfunktioniert. Jeder Mensch, der schon einmal in einer Änderungsschneiderei war, muss jene sofort als Fake erkennen. Außerdem sind freundliche Damen vom Steirischen Herbst anwesend, die gleich erklären, was nun zu tun ist. Hinter einer Tür, durch die man kriechen muss, verbirgt sich dann Barackenartiges und starker Rotweinduft. Die Idee der Installation, dass sich hinter der Normalität des Alltags der Abgrund befindet, ist – wenn auch naheliegend – ganz in Ordnung. Die Umsetzung dagegen sinnlos. Solche Projekte funktionieren nur, wenn sie nicht als Kunst ausgewiesen werden und auch die normale Laufkundschaft darauf reinfällt.

Ab in den Kunstverein!

Man findet aber auch wundervoll subtile und fundierte Perlen, die trotz ihrer Komplexität zugänglich sind. Riccardo Giacconi bespielt den ganzen Grazer Kunstverein mit seiner Ausstellung Options. Er thematisiert die Situation der deutschsprachigen Südtiroler während des Zweiten Weltkriegs, die sich zwischen Bleiben und Gehen entscheiden mussten. Dabei arbeitet er in vielen Medien – Schattenspiel und Soundinstallation trifft zum Beispiel auf fiktive Heraldik. Alles mit Liebe zum Detail und sogar ein bisschen Augenzwinkern.

Schön auch die skurrile Videoarbeit von Giorgi Gago Gagoshidze über die amputierte Hand seines Vaters im Palais Attems, solide die Videoinstallation von Daniel Mann und Eitan Efrat im Forum Stadtpark, die sich mit Bad Gastein auseinandersetzt. Bitte dort überall nicht drübersprayen!

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Festivaleröffnung vom Donnerstagabend: Leere Weinflaschen

Hurra die Welt geht unter hieß einmal ein Album der Berliner Übertreibungsrapper K.I.Z. Da versteht man gleich, was Sache ist: Weltende als Neuanfang, Feiern des Niedergangs. Man kann es auch wie die Intendantin des Steirischen Herbsts, Ekaterina Degot, bei der diesjährigen Eröffnung sagen. Es geht um "unsere Diktatur des Genießens in Zeiten der Katastrophe".

Degot orientierte sich aber nicht an K.I.Z, sondern an Georg Lukács' Konzept des "Grand Hotel Abgrund", was – wenn wir uns ehrlich sind – aufs Gleiche hinausläuft. Festivalmottos müssen ohne Grundkurs Philosophie unverständlich sein, sonst motzen die Kunstschnösel wieder.

Nach Degots adretter Rede, in der sie passend die gestrenge Hoteldirektorin gab, folgte eine Performance von Zorka Wollny. Dann fand der eigentliche Hauptteil des Abends statt, die sogenannte "Eröffnungs-Extravaganza" im Congress Graz.

Wirken hätte das Ganze wohl sollen wie der letzte Abend auf der Titanic, das große Fressen kurz vorm Schifferlversenken: Der Glamour und die Joie de vivre sollten dann von den Performances und Interventionen "gestört" und eine Art kollektive Vorahnung des drohenden Untergangs erzeugt werden. Das funktionierte mäßig gut. Die Vokalistin Julie Flier streunte mit verschmiertem Make-up durch den Congress, sang Wagner und umarmte das Beethoven-Denkmal. Künstler-Kellner overperformten beim Reichen der Häppchen, Alexander Brener hielt in einer Art Raupenkostüm eine polemische Rede gegen den Hedonismus der modernen Kunst, von der man kein Wort verstand. Wirklich irritierte an der Extravaganza nur der Fakt, dass der Wein dann doch recht bald aus war.

Den Abend retteten mal wieder Jakob Lena Knebl und Markus Pires Mata mit ihrer grandiosen Performance The Style Council. Jeweils drei rot und golden bemalte Bodybuilder und Bodybuilderinnen gaben ein faszinierendes Tableau vivant ab, berührten Vasen, verschmolzen mit ihnen zu Skulpturen. Irgendwo zwischen Fetisch, Voyeurismus und Witz interpretierten Knebl und Mata das Festivalmotto überzeugend und frisch – geht doch!

(Amira Ben Saoud, 20.9.2019)