Kunst hat im Arbeitsumfeld von Machthabern seit Jahrhunderten Tradition. Nicht nur zum Zweck der Dekoration, sondern als bewusst eingesetztes Accessoire, in Vorstandsetagen ebenso wie auf der politischen Bühne. Mit letzterem Milieu hatte sich der STANDARD im September 2018 beschäftigt, konkret im Hinblick darauf, welche Kunstwerke die Büros einiger Mitglieder der damaligen Regierung schmückten.

Februar 2018: Sebastian Kurz erklärte Donald Tusk (Präsident des Europäischen Rates) nicht die Welt, aber was es mit der auf dem Kopf stehenden Europakarte auf sich hat – Kunst.
Foto: BKA/Dragan Tatic

Vorweg: Nicht alle der Kontaktierten gewährten Einblick. Und jene, die es taten, mit unterschiedlichem Enthusiasmus. Sieht man von Angaben ab, aus welchen Museen man die Bilder etwa geliehen hatte, gab es kaum Erklärungen, warum man sich für dieses Werk oder jenes Motiv eines Künstlers entschieden hatte. Mehrheitlich lag es daran, dass die Auswahl anderen überlassen worden war. Bis auf eine Ausnahme – und diese hing im Büro des Bundeskanzlers.

Aus den beantworteten Anfragen ergab sich ein Ergebnis, das als repräsentativ verstanden werden konnte: Bei Karin Kneissl und Heinz-Christian Strache hingen Gemälde Alter Meister an der Wand, bei Gernot Blümel und Sebastian Kurz zeitgenössische Kunst. Die FPÖ gab sich damit konservativ und traditionellen Werten verhaftet, die ÖVP wollte dagegen als jene Partei wahrgenommen werden, die alte Strukturen überwindet und zeitgemäße Lösungen für absehbare Probleme anpeilt.

Kulisse für politische Bühne: Anfang Juni 2018 begrüßte der Bundeskanzler und sein Vize Heinz-Christian Strache den russischen Präsidenten Wladimir Putin.
Foto: BKA/Dragan Tatic

Soweit die gängige Interpretation, obwohl es in den genannten Fällen tatsächlich nur um Dekoration gegangen ist. Mit einer Ausnahme – und diese hing, erraten, im Büro von Sebastian Kurz. Bei ihm ging es um Inszenierung. Eine Art der Vereinnahmung für politische Zwecke, gegen die sich Künstler nicht zur Wehr setzen können. Die Kontrolle über das weitere Schicksal ihrer Werke endet mit dem Verkauf.

Irritation als Kalkül

Auftragskünstler lassen sich bewusst darauf ein, andere nutzen die Gunst der Stunde. Brigitte Kowanz und Martha Jungwirth hatten ihre Leihgaben für die Arbeitsstätte des Kanzleramts- und Kulturministers aufeinander abgestimmt. Für sie war die öffentliche Aufmerksamkeit absehbar, vielleicht auch gewollt. Für Olaf Osten war es das alles nicht. Pendeln 064 heißt sein Werk von 2011, das eine auf den Kopf gestellte Landkarte Europas zeigt, über die der aus Lübeck gebürtige und in Wien lebende Künstler die Staffage des Museumsquartiers skizziert hatte.

Über Vermittlung seiner ehemaligen Galerie (Bäckerstraße4) war die großformatige Grafik als Exponat für eine Ausstellung im Außenministerium gelandet. Dahinter stand eine Kooperation mit der kulturpolitischen Sektion des Amtes und den Kulturinstituten im Ausland, erinnert sich Galeristin Gabriele Schober. Nach Ende der Ausstellung wanderte Ostens Bild in das Büro des Außenministers.

Eine Heerschar von Fotografen verstellte im Jänner 2019 den Blick auf die Hauptdarsteller – Arnold Schwarzenegger und Sebastian Kurz. Aus einer Fotoreportage von Matthias Cremer.
Foto: Matthias Cremer

Sebastian Kurz hatte Gefallen daran gefunden: vielleicht auch an der leicht subversiven Note und der absehbaren Irritation. "Dem #kurz habens die #europa karte falsch herum ins büro gehängt. Wo ist nun also Südosteuropa, oder etwa #Erdoganistan?", twitterte etwa Christian Hafenecker, damals Landesparteisekretär der FPÖ Niederösterreich.

Ein ZIB-Interview mit Folgen: Der Tweet von Christian Hafenecker, damals Landesparteisekretär der FPÖ Niederösterreich, stieß auf überschaubare Resonanz
Foto: STANDARD/Screenshot

Die Resonanz der Medien war von 2014 an überschaubar. Von Journalisten wurde die Kopfüberdarstellung Europas sporadisch erwähnt. Sie ermuntere ihn zu neuen Perspektiven, war eine der Auslegungen, die dem Image des jungen Außenministers zuträglich waren. Der Grat von der Fotokulisse zum bewusst eingesetzten Bühnenbild war ein schmaler.

Eine Entwicklung, über die Olaf Osten eher unfreiwillig auch aus dem Freundes- und Bekanntenkreis auf dem Laufenden gehalten wurde, wie er erzählt. Die Ambivalenz zwischen einem potenziellen Werbewert und der Reduktion auf ein Werk, das in seinem Schaffen keinen großen Stellenwert einnimmt, war nur einer der Aspekte.

"Proeuropäische Haltung"

Schwerer wog die stete Präsenz durch immer neue Fotos aus dem Bundeskanzleramt, die im Laufe der Monate eine politische Entwicklung dokumentierten, die Osten selbst nicht goutierte: Viktor Orbán, Wladimir Putin, Herbert Kickl und Heinz-Christian Strache, die zusammen mit dem Bundeskanzler vor und unter "seinem" Bild für die Weltöffentlichkeit posierten. Die politische Landschaft stand da auch in der Realität längst kopf.

"Wer hat das Bild verkehrt aufgehängt, was soll das?", fragte Putin in einer Maschek-Folge fiktiv. Die Funktion als Gesprächsöffner war jedoch eine reale. Das belegen Sequenzen, die Sebastian Kurz in der Gestik eines Kurators zeigten, der Gästen die Arbeit Ostens erläuterte. Die Promis kamen und gingen, die Aufnahmen wurden eifrig über Social-Media-Kanäle verbreitet.

"Putins Terminkollision" titelt eine Maschek-Folge vom Juni 2018, in der der russische Präsident Olaf Ostens Kunstwerk kommentiert: "Wer hat das Bild verkehrt aufgehängt, was soll das?" (ab Min. 2:22) – "ja, das hängt verkehrt", erklärt Sebastian Kurz, "das schaut fast so aus als hätt ma gestern Abend eine urwilde Party g’habt"
Maschek

Die Deutung, was das Werk über das Amtsverständnis von Kurz aussage, wurde nicht mehr dem Zufall überlassen. "Die persönliche Wahl" verweise auf "die proeuropäische Haltung des Bundeskanzlers", erläuterte sein Pressesprecher im September 2018 bereitwillig.

Singapurs Premier Lee Hsien Loong erhielt bei seinem Besuch im Oktober 2018 nicht nur militärische Ehren, sondern auch eine Lektion in Kunst.
Foto: Archiv Olaf Osten

Eine Interpretation, die Olaf Osten nicht unkommentiert lassen wollte. In einem Leserbrief wandte er sich an den Bundeskanzler und hinterfragte die "repräsentative Funktion" seines Bildes: "Was soll es aus Ihrer Sicht, speziell an dieser prominenten Stelle, über Sie als Kanzler eigentlich sagen? Und über Ihre Politik?". Denn er hatte bei seiner "Arbeit eine Weltoffenheit im Sinn, die ich in Ihrer Politik bisher vermisse. Stattdessen sehe ich Abwehr des ,Fremden', Abriegelung der Grenzen, Angstmache nach innen und außen, Benachteiligung von Gesellschaftsgruppen, die sich nicht wehren können – das alles befeuert durch Ihren Koalitionspartner."

Er würde sich freuen, wenn das Werk "auf die Arbeit abfärben könnte", die darunter stattfinde, sonst "bliebe es bloß ein inhaltsleeres Dekorationsstück", und das wäre "im Sinn der gesellschaftlichen Aufgabe von Kunst doch schade, oder?" Gab es nach der Publikation des Leserbriefes im Standard eine Reaktion aus dem Bundeskanzleramt?

Schwert des Damokles

Nein, das hatte er auch nicht erwartet, der öffentliche Kommentar war ihm nach all den Jahren jedoch wichtig. Nachsatz: Er wäre ja gerne stolz gewesen, dass eines seiner Bilder das Büro des Bundeskanzlers ziert. Aber er war es nicht. Da hänge ein Damoklesschwert über Sebastian Kurz, und er wisse es nicht einmal, übten sich Freunde in solidarischem Humor.

Mit dem Ende der Kurz-Kanzlerschaft verschwand auch Pendeln 064 aus dem Rampenlicht. Vorerst. Der Verbleib des Bildes ist unbekannt, mehrmalige Anfragen beim einst auskunftsfreudigen Pressesprecher blieben unbeantwortet. Immerhin war die Grafik, nach Jahren als Leihgabe und einer Anzahlung von 800 Euro, auch irgendwann gekauft worden: Der offene Betrag in Höhe von 4000 Euro war am 12. Februar 2018 überwiesen worden, wie einem vom Falter übermittelten Beleg aus den ÖVP-Files zu entnehmen ist. (Olga Kronsteiner, Album, 22.9.2019)