Auf einer Fotografie aus den 1940er-Jahren in Maribor: Zwei junge Frauen, eine dreht sich nach dem Uniformierten um, der gerade an ihnen vorbeigeht: "Sieht der nicht genauso aus wie Ludek?" Vor Jahren hat Ludek, als Sonja noch ein Kind war, sie aus dem Schnee gezogen. Aber das ist lange her, und aus Ludek ist, seit die Deutschen in der Untersteiermark wieder das Sagen haben, Ludwig geworden. Ludwig Mischkolnig, der nun für die Gestapo arbeitet, SS-Obersturmbannführer, der vom Deutschtum faselt und der jungen Frau, an die er sich dann doch erinnert, mehr als arrogant begegnet, zumindest in diesem ersten Augenblick.

"Die Geschichte sorgt dafür, dass alles Menschliche auseinanderbricht": Drago Jančar.
Foto: Jože Suhadolnik/Delo

So könnte es gewesen sein, so könnte sich die auf der Fotografie angedeutete Geschichte tatsächlich entwickelt haben. Zweifellos ein schöner Kunstgriff des Autors, die Geschichte aus dem Bild, einer Momentaufnahme, heraus zu erzählen, die Abgebildeten gleichsam aus der Fotografie heraustreten und zu Protagonisten eines großen Romans werden zu lassen.

Drago Jančar erzählt diese uralte, noch einmal neu erfundene Geschichte, in der Menschen vor dem Hintergrund des Krieges zueinander- und auseinandergeraten, mit ebenso viel Leidenschaft wie Distanz: Wenn die Liebe ruht ist ein etwas irreführender Titel, denn am Ende des Romans, wenn alles Menschliche verwüstet sein wird, geht nichts weiter, wie es vorher war. Im Original heißt der in Slowenien 2017 erschienene Roman Und die Liebe auch, und man könnte ergänzen: ... geht kaputt, so wie alles nämlich, was Menschen, eine Gesellschaft einmal zusammengehalten hat, trotz ethnischer, politischer Konflikte, die in der ehemaligen Untersteiermark besonders virulent waren.

Tief ins Psychologische

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde das Gebiet slowenisch, aus dem vorwiegend deutschsprachigen Marburg wurde Maribor, neue Machtverhältnisse, die sich 1941 wieder drehen und bald zu offenen Gewaltexzessen führen: In den Wäldern formiert sich der Widerstand der Partisanen, während die deutschen Besatzer immer mehr die Zivilbevölkerung ins Visier nehmen, die zwischen die Fronten geraten, ob sie sich nun deutsch oder slowenisch fühlen.

Genau dieses Thema hat kürzlich auch Martin Pollack mit Die Frau ohne Grab aufgegriffen. Während er eine genau recherchierte authentische Geschichte erzählt, die zur selben Zeit in derselben Region spielt, begibt sich Drago Jančar auf die fiktive Ebene, geht tief ins Psychologische, ohne dabei zu psychologisieren, und trotz des Romanhaften bleiben seine Figuren so echt wie die Personen in Pollacks dokumentarischer Prosa (ein Merkmal, das für beide Bücher spricht) und so echt wie die Abgebildeten auf der Fotografie.

So könnte es gewesen sein: Die junge Frau spricht den deutschen Offizier an, später verabredet man sich, aber aus einem anderen Grund: Sonjas Geliebter Valentin sitzt im Gestapo-Gefängnis von Marburg, Ludek soll helfen, und der verlangt einen Preis ... Jene uralte Geschichte, die Jančar aber so gekonnt erzählt, dass der Leser dem Autor begeistert folgt, aber nicht weiß, wohin. Denn der Preis ist viel höher als angenommen: Valentin, der bei den Partisanen das Handwerk des Tötens lernt, Ludek, der nicht erst 1945 auf der falschen Seite steht, und Sonja, die völlig aus der Geschichte fällt. "Die Liebe überwindet alles", heißt es einmal im Roman, und unmittelbar darauf: "Außer den Krieg." Kurz darauf derselbe Satz noch einmal, nur das Wort Liebe durch Poesie ersetzt.

Drago Jančar, "Wenn die Liebe ruht". Übers. v. Daniela Kocmut. € 25,70 / 397 S. Zsolnay, Wien 2019

Keine Nägel mehr für die Särge

Über Valentin heißt es: "er würde es nicht durchstehen", gemeint ist das Töten, und: "Er tötete." Die Vorstellung vom Partisanentum ("wie ein Pfadfinderausflug") wird schnell den Gegebenheiten angepasst, sein "Heldentum" immer mehr hinterfragt. Für Ludek lautet das Verhältnis von Anfang an anders, für ihn ist es eine systematische Sache, an der ihn bloß die organisatorischen Mängel stören: Schon seit Monaten werden aus Graz keine Nägel mehr für die Särge geliefert, Materialmangel, Lieferengpässe, das heißt, die Dinge fangen an auseinanderzugeraten. "Müssen wirklich so viele erschossen werden?", fragt Ludek, wo man doch nicht weiß, wie man die Leichen entsorgen soll, wo doch die "verdammten Nägel" fehlen, wo man die, die erschossen werden, besser als Zwangsarbeiter brauchen könnte ...

Am Ende sind es die Menschen, die das Böse zulassen, es verursachen – oder ist es bloß das Schicksal, die Geschichte? Sie sorgt jedenfalls dafür, dass alles Menschliche auseinanderbricht, und nach dem Krieg, der auch das Zwischenmenschliche pervertiert, bleibt nur Ernüchterung: "Das Leben war dabei, sich zu verabschieden, und die Liebe auch", heißt es auf Seite 340. Da geht die Geschichte noch 50 Seiten weiter, obwohl alles erzählt ist, und doch nicht alles.

Mit dem Roman ist Drago Jančar zweifellos ein Meisterwerk gelungen, dem allerdings die deutsche Übersetzung nicht immer gerecht werden kann. Vor allem sind es sachliche Fehler wie etwa die wiederholte Bezeichnung "Wehrmachtler", wie aber die Mitglieder einer SA-ähnlichen Formation des "Steirischen Heimatbundes" gewiss nicht hießen. Da möge man Martin Pollacks im selben Verlag erschienenes Buch lesen, wo richtig von "Wehrmannschaften" die Rede ist. Und so wird es auch Drago Jančar gemeint haben. (Gerhard Zeillinger, Album, 21.9.2019)