Maria Bengtsson als Nixe Rusalka (Mi.) inmitten ihrer Waldnymphen (links Ilona Revolskaya, rechts Tatiana Kuryatnikova). Eine starke Inszenierung von Amélie Niermeyer.

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Was man da sieht, weiß man nicht genau. Die Welten der Menschen und der Meeresbewohner fließen ineinander, ebenso wie Realität, Fantasie, Traumbilder. Die tschechische Warnung "Pozor!" ("Achtung!") in einer heruntergekommenen Schwimmhalle könnte sich auf alles beziehen, am Ende beginnt die Aufschrift selbst zu bröckeln, wenn inzwischen die Natur das Gebäude mehr und mehr wiedererobert hat.

Es könnte eine postkommunistische Szenerie sein, doch die Menschen wollen auch insgesamt daran erinnert werden, dass nichts von Dauer ist, was sie schaffen, sondern nur kurz bleibt. Grandios vermittelt das Bühnenbild zwischen den Sphären, trotz eines Beleuchtungsfehlers zauberhaft belebt durch die Lichtregie von Reinhard Traub.

Trüb und trostlos ist dies – nur erscheint der von einem riesigen Kronleuchter schillernde Ort, in den sich die Halle beim Auftauchen des Prinzen und seiner Schar verwandelt, um keinen Deut besser. Zugleich ist die Szene wundersamerweise durch Pflanzen, Licht und zwischenmenschliche Hoffnungsschimmer auch voller Poesie.

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Gewalt erfährt die Nixe Rusalka schon vom Wassermann – ist es das, was sie unter Menschen stumm macht? Was auch immer sie draußen oder droben erleiden muss – Liebe ist das nicht zu nennen. Dass das Märchen zum Albtraum wird, lässt sich schon erkennen, als die Hexe Ježibaba (diabolisch und sonor: Natascha Petrinsky) der Nixe zeigt, wie man die Männer bezaubert, und in der Videoprojektion von Jan Speckenbach, wo mehr Assoziationen strömen, als Wasser im Becken ist, die Schminke zu Schlamm wird.

"Es ist ganz trüb von Menschenschlamm", heißt es im dritten Akt. Buchstäblich alles, was gezeigt wird, findet sich in der einen oder anderen Weise im Text wieder – oder lässt sich durch die Musik begründen, der Regisseurin Amélie Niermeyer mit psychologischem Spürsinn jede seelische Wendung der Figuren abgelauscht hat – ebenso wie häufige Bedrohlichkeit und Rauheit. Ungemein nah ist das alles an Dvořáks Musik, und punktgenau getaktet mit dem Dirigat von David Afkham, der auf das ORF-Radio-Symphonieorchester Wien als ideales Opernorchester vertrauen kann: Da gibt es die schönste Zartheit, aber kein kitschiges Idyll, kraftvolle Einfachheit, aber keine Naivität, vielfarbigen Beziehungsreichtum zwischen den plastischen Leitmotiven und Orchesterfarben.

Symbiose aus Klang und Bild

Klang und Bild gehen eine Symbiose ein, etwa dort, wo die volkstümliche Menschenwelt musikalisch und szenisch eine beißende Karikatur auf kollektive Dumpfheit wird. Bestechend gelöst ist es etwa, wenn der großartige Arnold Schoenberg Chor als Hochzeitsgesellschaft in Zeitlupe agiert, sodass die Wahrnehmung der Protagonistin sicht- und hörbar wird. Überzeugend stellt Maria Bengtsson ihre Beklemmung dar, ihre verzweifelte Stummheit, so wie sie zuvor den Sehnsüchten Rusalkas Ausdruck verliehen hat: mit tragenden Phrasen auch im Sanften und dramatischen Ausbrüchen, die da und dort an eine Grenze kommen.

Als tapsiger Wassermann klingt Günther Groissböck seelenvoll, nobel und keineswegs gewalttätig – vielleicht ein kleiner Widerspruch zur Personenzeichnung. Ebenfalls hart an die Grenzen geht der Darsteller des Prinzen, Ladislav Elgr, der über schöne lyrische Höhen und metallische Kraft verfügt, aber so viel Risiko auf sich nimmt, dass er auf dem Gipfelpunkt der Dramatik mehr schreit als singt und einmal seinerseits fast verstummt.

Zuvor hatte er für ein Thema der Pausengespräche gesorgt, da dieser Prinz seinem Lager mit der Nixe vor versammeltem Hauspersonal im Adamskostüm entsteigt. Unter anderem dies zeigt ihn als unbeschwert und realitätsfern. Dass weder der erste Stock der Halle noch die Treppen ein Geländer haben – auch da könnte "Pozor!" stehen – sieht er nicht. Seinem Tod läuft er denkbar tollpatschig entgegen – und rutscht auf dem nassen Boden aus. (Daniel Ender, 20.9.2019)