Bieder oder progressiv? Der Wahlkampf ist grün! Im Gastkommentar lässt Philosophin Lisz Hirn den bisherigen Wahlkampf Revue passieren. Soziologe Christian Fleck fragt in seinem Gastkommentar "Alles wird gut?" und plädiert dafür, eine weiter in die Zukunft gerichtete Perspektive zu wählen.

Im Spiel der Macht wiegt die Angst vor den Klimakatastrophen langsam mehr als die Angst vor den fremden Männern. Vielleicht auch, weil die Letzteren bisher keine verheerenden Schäden verursacht haben. Deshalb ist auf dem "Weg der ÖVP, der erst begonnen hat", Grün jetzt Trumpf. Die Türkisen setzen auf den jungen Mann im Slim-Fit-Anzug, auch wenn seine neokonservative Taktik, Tradition über alles zu stellen, vielleicht das Mindestmaß christlichen Anstands unterschreitet. Der Wegfall einiger schwarzer Traditionalisten muss in Kauf genommen werden.

Diese Enttäuschten könnten in den Pinken durchaus eine Alternative für ihr Kreuzchen finden. "Bildung über alles stellen": Mit diesem Wahlspruch mag man die Herzen der wenigen echten Bildungsbürger und der neokonservativen, gutverdienenden Hipsterfamilien in den Städten erfreuen. Dieses hehre Vorhaben hat bekanntlich einen Haken: Bildung kostet Zeit und Geld. Und über Geld lässt sich bekanntlich streiten. Über die Zeit allerdings nicht. Sie ist das, was wir angesichts der alarmierenden Klimakrise und des schwächelnden Wirtschaftswachstums nicht haben.

Hofer als Deus ex Machina

Während die Neos die Bildung als das "allerwichtigste Thema für die Zukunft unseres Landes" setzen, zeichnet die FPÖ ihrer treuen Gefolgschaft und ihrer potenziellen Wechselwählerschaft stattdessen Schreckensvisionen schwarz-grüner Herrschaft. Nicht nur, dass beim Zustandekommen einer solchen Koalition alle Grenzen offen stehen und Migranten ohne Wenn und Aber willkommen geheißen würden, auch das Autobahnfahren würde dem Österreicher bei deren Wahlsieg endgültig vergällt. 100 ist das Limit, verheißt eine nach rechten Fantasien gestylte "Emanze" mit Dreadlocks im FPÖ-Wahlvideo. Als "linker Vamp" ist sie die Realisierung rechter Schreckensvisionen, die den im Video gespielten "Sebastian Kurz" ins "koalitionäre Bett" locken will.

Im letzten Augenblick erscheint FPÖ-Chef Norbert Hofer als Deus ex Machina: "Ohne uns kippt Kurz nach links." Sich auszumalen, wie es in "feministischen", "grünen", "queeren" Kommunen zugeht, die den Fortbestand Österreichs und des Patriarchats bedrohen, bleibt also dem Zuseher überlassen.

Unsichtbare rote Männer

Im SPÖ-Wahlkampf sind Männer fast unsichtbar.
FOTO: APA/ROLAND SCHLAGER

Apropos Männer: Die sind im Wahlkampf der SPÖ fast unsichtbar. Auch wenn sie in allen Spitzenfunktionen dominieren und intrigieren – für diesen Wahlkampf werden die Frauen ins Feuer geschickt. Und so vermitteln sowohl die gewinnend lächelnde Spitzenkandidatin Pamela Rendi-Wagner als auch die unverwüstliche Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures den Eindruck, das sozialdemokratische Lager bemühe sich, emanzipiert und integer zu scheinen. Der moralische Zeigefinger ist jedenfalls auf den österreichischen Wähler gerichtet. Ob Menschlichkeit reichen wird, um zu siegen, darf bezweifelt werden. Der Zusatz "Wenn man sie wählt" wurde in weiser Voraussicht auf den Sujets hinzugefügt.

"Wenn, dann" gilt auch für die Liste Jetzt. Sie "kann man nicht kaufen", vielleicht will man auch nicht. Ob Herr und Frau Österreicher noch immer den von Peter Pilz dominierten "Gegenpol zur FPÖ und der Kurz'schen ÖVP" im Parlament haben wollen, wird sich zeigen. Das Ergebnis wird nicht nur für sie die parlamentarische Welt bedeuten. Die Grünen ringen – diesmal allerdings unter ausgezeichneten Bedingungen – um den Wiedereinzug ins Parlament. Sie könnten sich eigentlich geschmeichelt fühlen, dass der politische Kontrahent "Schwarz-Grün gefährdet deine Zukunft" plakatiert. Nicht einmal alle Grünen sind sich eines Wiedereinzugs so sicher.

Wenn man dem unentschlossenen Wechselwähler also unbedingt eine Empfehlung geben will, dann bitte die, von den für ihn zur Wahl stehenden zwei Übeln endlich das notwendige und nicht das taktische zu wählen. (Lisz Hirn, 20.9.2019)