Andrew Lloyd Webbers Musical "Cats" wird wieder im Ronacher gespielt.

Foto: Deen van Meer

Wien – Ach, die Achtziger: seltsame Zeiten, flüchtige Welt. Welche Phänomene gab es seinerzeit zu bestaunen? Bundeskanzler Fred Sinowatz. E.T. Aerobic. Den C64. Ein Ö3 mit Seele und Sachverstand. Barbara Stöckl mit ungebügelten Haaren in der Sendung "X-Large", Udo Huber im Overall bei "Die Großen 10". Und Angelika Milster, die in Samstagabendshows ständig das Mondlicht besang. Warum nochmal? Na, wegen Cats!

Geschichte soll sich nie genau gleich wiederholen, sagt man, aber Musicalaufführungen tun das doch. 1983 holte Peter Weck Cats in die selbsternannte Musikwelthauptstadt, Fantastilliarden von Wien-Besuchern schoben sich Andrew Lloyd Webbers Musical noch schnell zwischen Stephansdom und Schönbrunn rein. Mittlerweile gibt es noch zehn Mal mehr Touristen, also lassen die Vereinigten Bühnen Wien das Ding erneut in Szene setzen – als Retro-Fans natürlich genau so wie damals.

Okay. Und seltsam

Wie war die Premiere am Freitagabend im Ronacher? Okay. Und seltsam. Man hatte das Gefühl, dass einige der Besucher vergessen hatten, wie sehr Cats nach Kinderfernsehen aussieht. Sesamstraße, die Fraggles, Alf, sowas. Klar: Das Musical basiert ja auch auf Gedichten für Kinder von T. S. Eliot. Welche Erwachsene schauen sich eigentlich Cats an? Die, die im erwerbsfähigen Alter immer noch einen Diddl-Maus-Anhänger an ihrer Tasche haben oder in Benjamin-Blümchen-Bettwäsche schlafen? Möglicherweise.

Im Ronacher wucherte also das Bühnenbild, genauer: die Müllkippe, erwartungsgemäß in den vorderen Rang hinein. Selber schuld, wenn man die Grünen aus dem Parlament wählt. (Scherz.) Wer erwartet hatte, dass die Stimmung bei Jellicle Cats erstmals kochte, wurde enttäuscht. Das Ensemble erwies sich tänzerisch in Sachen Präzision und Intensität als steigerungsfähig (Regie und Associate Choreographie nach der Originalproduktion: Chrissie Cartwright). Schwierig auch die Koordination mit dem Orchester unter der Leitung von Carsten Paap. Apropos Orchester: Der prähistorische Sound der Synthesizer ist natürlich großartig, speziell beim Motiv des fallendes Lichtstrahls des Mondes. Very eighties.

100 Punkte für den Tiger

Alexander Auler wirkte als Munkustrap stimmlich noch etwas unfrei und träge in der Beinarbeit. Als schneeweiße Victoria war Hannah Kenna Thomas die tänzerische Eleganz in Person bzw. Tier, in Sachen Dynamik könnte sie noch zulegen. Dominik Hees heizte als Showtiger Rum Tum Tugger aber sowas von ein, auch vokal: 100 Punkte. 110 für Felix Martin, der speziell als tatterige Theaterlegende Gus herausragend war.

Stephen Martin Allan schaffte Mr. Mistoffelees‘ Drehungen ganz zauberhaft. Kraftvoll-aggressiv: Nicholas Lis Macavity, sexy Birgit Arquins Bombalurina. Auch auf vokalem Gebiet eine Autorität und ein Alleskönner: Rory Six als Alt Deuteronimus. Luxusbesetzung Ana Milva Gomes (Grizabella) gab den Chartsong des Musicals differenziert und mit satter Mittellage, die Spitzentöne gerieten etwas schrill. In den Katzenhimmel auffahren durfte die abgetakelte Glamourkatze aber trotzdem. Der Premierenjubel dürfte vor 36 Jahren im Theater an der Wien etwas länger ausgefallen sein. Es waren eben seltsame Zeiten. (Stefan Ender, 21.9.2019)