Forscher Schürz: Ketzerische Ideen in einer Gesellschaft, in der Privateigentum als sankrosankt gilt.

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Die sprichwörtliche Schere zwischen Arm und Reich klafft auseinander: "Die Ungleichverteilung wächst munter weiter."

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Eine Frage, viele Antworten: Fällt das richtige Stichwort, ist Martin Schürz schwer zu bremsen. Von gigantischen Milliardenvermögen erzählt er, von der Ignoranz der Politik und dem Absturz der Demokratie. Wer ihm zuhört, der sieht die Welt hinterher nicht unbedingt in rosigen Farben.

Die geballte Expertise aus 25 Jahren als Vermögensforscher hat Schürz nun in ein Buch gepackt. Auf 226 Seiten führt der in der Nationalbank beschäftigte Ökonom durch zweieinhalb Jahrtausende Ideengeschichte des Umgangs mit Reichtum, von Bescheidenheitsidealen im alten Griechenland bis zur zeitgenössischen Steuerdebatte – und zieht daraus Schlüsse, die in einer Gesellschaft, in der Privateigentum als sakrosankt gilt, geradezu ketzerisch klingen.

Für den Titel steht Platon Pate. Als "Überreiche" bezeichnete der antike Philosoph Vermögende, die nicht tugendhaft seien, wobei Schürz da eine Klarstellung wichtig ist. Der Charakter der Reichen sei ihm egal, die Gier nicht sein Thema. Der Skandal ist für ihn die Vermögenskonzentration per se, die den Profiteuren überbordende politische Macht beschere. "Überreichtum", befindet Schürz, "verletzt das Gleichheitsprinzip, schädigt die Gesellschaft und zerstört die Demokratie."

Hundert Prozent Steuer

Zum Nachweis blickt der Autor im Buch in die USA, wo die Präsidentschaftswahlen auf das Spiel "Dein Milliardär gegen meinen Milliardär" hinauslaufen. Doch es stellt sich die Frage, ob der Befund einfach auf ein westeuropäisches Land umzulegen ist. Laut der Untersuchungen der Nationalbank, die Schürz selbst geführt hat, hält das reichste Prozent in Österreich ein Viertel des Privatvermögens – trotzdem gibt es einen Sozialstaat, starke Gewerkschaften und arbeitsrechtlichen Schutz. Ist das Bild der oligarchischen Fassadendemokratie da nicht eine grobe Übertreibung? Die Einflussnahme laufe nicht nach einer "primitiven Anschaffungslogik" ab, sagt Schürz und nennt ein Beispiel: Auch in Europa landeten Spitzenpolitiker nach ihrer Karriere häufig in Großbanken, Konzernen oder Stiftungen. Mit derartigen Jobs in Aussicht gebe es keinen Anreiz, die Regulierung des Finanzsektors zu fördern, glaubt er: "Politik wird zum Traineeship."

Dass es hierzulande keine Erbschafts- und Vermögenssteuern gibt, obwohl Organisationen wie die OECD diese als wachstumsfreundlicher als die hohe Belastung von Arbeit einschätzen, erklärt Schürz mit dem gleichen Effekt. Und wenn Parteien wie die SPÖ doch eine solche Steuer propagierten, dann nur in "symbolisch" wirksamer Dosierung. Wird Vermögen über einer Million mit einem Prozent besteuert, wirft aber fünf Prozent Rendite ab, rechnet er vor, "wächst die Ungleichverteilung munter weiter".

Konzentration von Reichtum

Schürz, der sein Buch als Albert Hirschman Research Fellow am Institut für die Wissenschaften vom Menschen geschrieben hat, schwebt Radikaleres vor: "Will man die Konzentration von Reichtum wirklich vermindern, braucht es eine Vermögensobergrenze."

Auf das Wie und Ab-welcher-Höhe lässt sich der Wissenschafter nicht festnageln, bietet aber historisches Anschauungsmaterial.

Der demokratische Senator Huey Long, zeitlebens als autokratischer Populist verrufen, zog die Grenze in den Dreißigern bei 50 Millionen Dollar, was heute einer Milliarde Dollar entspräche – schon ein Fünftel davon würde ausreichen, um noch die eigenen Kinder und deren Kinder gut zu versorgen, argumentierte er. Der ebenfalls demokratische Präsidentschaftskandidat George McGovern warb 1973 für einen Steuersatz von 100 Prozent für Erbschaften über einer halben Million (heute etwa drei Millionen). "Ein vernünftiger Vorschlag", wie Schürz schreibt. Würden die Reichen da nicht in Steueroasen flüchten? Natürlich, antwortet der Autor, aber ein Tabubruch wäre geschafft. Der Staat müsste sich endlich für die Vermögensverhältnisse interessieren, während derzeit nur die Armen zum finanziellen Striptease genötigt seien. Dass Letztere eben Sozialhilfe aus Steuergeld erhielten, sei kein stichhaltiges Argument: "Reiche profitieren von Subventionen, der Infrastruktur, Finanzhilfe in Bankenkrisen."

Dass konfiskatorische Steuern Betriebe und damit Arbeitsplätze vernichten könnten, lässt Schürz ebenso wenig als Einwand gelten. Man könne Unternehmensanteile auch verkaufen, sagt er, ahnt aber, dass sich Ideen wie die seinen ohnehin nie durchsetzen würden.

Erbschaftssteuer bleibt tabu

An sich seien die Menschen für eine gleichere Gesellschaft; doch werden Steuerpläne konkret, setzten stärkere Gefühle ein, etwa die Sorge um Privatsphäre und familiären Zusammenhalt. Da könne man noch so oft vorrechnen, dass riesige Erbschaften auf eine Handvoll Überreiche entfielen, während die breite Masse durch Freibeträge geschont werden könne.

"Von der Illusion, allein mit Daten Aufklärung zu erreichen, habe ich mich verabschiedet", sagt der Forscher Schürz. Nur 20 Prozent der Österreicher seien für die Erbschaftssteuer: "Bei den Armen sind es nicht mehr als bei den Reichen." (Gerald John, 22.9.2019)