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Ein demoliertes Auto in der albanischen Hauptstadt Tirana.

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Tirana –Es ist einer jener Spätsommertage, die in Mitteleuropa als Hochsommertage durchgehen würden. Viele Leute aus Tirana sind an diesem Samstag an die Küste gefahren, hier kann man bis in den November hinein schwimmen gehen. Sie wissen noch nicht, dass sie sich ins spätere Epizentrum bewegt haben.

Im Blloku-Viertel in Tirana, südlich des Flusses Lana, sitzen viele Albaner in Gastgärten und chillen bei Kuchen oder Bier. In der Zeit des Stalinismus war das Grätzel hier abgeriegelt – die paranoide Partei- und Staatsführung verschloss sich vor der Gesellschaft. Heute ist Blloku für seine exzellenten Restaurants, lustigen Bars und schicken Modeboutiquen bekannt. Hier wird das Leben genossen.

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Ein schwer beschädigtes Wohnhaus in Tirana.
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Plötzlich fallen kleinere Zementstücke von einem achtstöckigen blassrosa Gebäude auf der linken Seite. Immer mehr Verputz blättert ab, die Brocken knallen auf den Gehsteig. "Wer schmeißt hier Steine herunter?", wird mit Blick auf Balkone und Fenster gerufen. Doch dort oben ist niemand zu sehen.

Dann sickert es langsam. Alle rennen auf die andere Straßenseite. Autos quietschen. Vor der flachen Villa des Diktators Enver Hoxha kann einem wenigstens nichts auf den Kopf fallen. Mittlerweile sind auch alle aus den Häusern auf die Straße gelaufen. Aus der Credins-Bank dröhnt eine nervige Sirene. "Ist hier jetzt auch noch ein Banküberfall?", fragt einer. Der Schwindel hat den Kopf erfasst, die Füße scheinen so biegsam zu werden, als wäre der Mensch eine Qualle. Die meisten telefonieren mittlerweile. "Bist du okay? Wo bist du?"

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Trümmer begruben Autos vor einer Universität in Tirana unter sich.
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Seit 30 Jahren keine derart starken Störungen

Das Epizentrum befindet sich bei der Hafenstadt Durrës, etwa eine halbe Stunde entfernt. Ein paar Minuten später beginnen im Café die Eiswürfel im Eistee zu schwanken, als würde man sie sachte wiegen. Dann klirren sie immer schneller aneinander. Der Sessel hüpft. "Ich komme sicher zurück und bezahle den Eistee!", ruft jemand im Weglaufen. "Vergiss den Eistee!", ruft der Kellner, der selbst davonläuft.

An Hauswänden sieht man neue Risse, einige Gebäude und Autos wurden beschädigt, mindestens 100 Personen sind verletzt. Viele Geschäfte haben nun geschlossen, Hochhäuser sind evakuiert. Die Leute schicken einander Handyfotos, auf denen Gläser zu sehen sind, die aus Schränken gefallen und auf dem Boden zerschellt sind. "Kommt es wieder?", fragen sie. "Gibt es ein Frühwarnsystem?" In Albanien hat es seit 30 Jahren keine derart starken seismischen Störungen mehr gegeben. Einige Nachbeben verlaufen schwächer. (Adelheid Wölfl aus Tirana, 22.9.2019)