Jerusalem – In einem ungewöhnlichen Schritt hat die Vereinigte Arabische Liste in Israel Benny Gantz, den Vorsitzenden des oppositionellen Mitte-Bündnisses Blau-Weiß, für das Amt des Ministerpräsidenten empfohlen. Es ist das erste Mal seit 1992, dass eine arabische Liste den Kandidaten einer jüdischen Partei empfiehlt – damals war es Yitzhak Rabin, zu Beginn des Friedensprozesses mit den Palästinensern.

Israels Präsident Reuven Rivlin bei Gesprächen mit Vertretern des Likud am Sonntag.
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Bei Beratungen über die Regierungsbildung sagte Ayman Auda, Vorsitzender der Vereinigten Arabischen Liste, dem Staatspräsidenten Reuven Rivlin am Sonntag: "Wir wollen die Ära Benjamin Netanyahu beenden, und deshalb empfehlen wir, dass Benny Gantz die nächste Regierung bildet." Dies bedeutet allerdings nicht automatisch, dass die arabischen Abgeordneten Teil einer künftigen Koalition sein werden.

In Israel herrscht angesichts des knappen Ausgangs der Wahl vom Dienstag politische Ungewissheit. Das Mitte-Bündnis Blau-Weiß von Gantz wurde mit 33 von 120 Sitzen stärkste Fraktion im Parlament. Der rechtskonservative Likud des amtierenden Ministerpräsidenten Netanyahu wurde nur zweitstärkste Kraft mit 31 Mandaten. Präsident Rivlin setzt sich für eine Koalition der beiden größten Parteien ein.

Drittstärkste Kraft in der Knesset

Die Vereinigte Arabische Liste wurde mit 13 Mandaten drittstärkste Kraft. Balad, eine der vier Parteien in dem Bündnis, stellte am Sonntagabend allerdings klar, dass sie die Empfehlung für Gantz nicht mitträgt.

Weder das Mitte-Links-Lager noch der rechts-religiöse Block hat bisher die notwendige Mehrheit von 61 Mandaten. Auch Netanyahu und Gantz haben sich deshalb für eine Große Koalition ausgesprochen. Es herrscht jedoch Uneinigkeit darüber, wer sie anführen sollte. Mit der Empfehlung der arabischen Parteien kann Gantz sich auf 57 Stimmen stützen, zwei mehr als Netanjahu.

Zwanzig Prozent der Israelis sind Araber

Traditionell gelten die arabischen Parteien in Israel nicht als legitime Koalitionspartner. Sie lehnten bisher auch eine Regierungsbeteiligung selbst ab. Israelische Medien werteten es allerdings als außergewöhnlich, dass die Vereinigte Arabische Liste den Vorsitzenden von Blau-Weiß empfiehlt – einer Partei mit drei Ex-Generälen. Dies wurde als Zeichen für den Wunsch der arabischen Minderheit für mehr Beteiligung eingeschätzt. Rund 20 Prozent der neun Millionen Israelis sind Araber.

Der arabische Abgeordnete Ahmed Tibi sagte, man habe die Entscheidung trotz der Vorbehalte gegen Gantz getroffen, der 2014 als Generalstabschef Krieg gegen militante Palästinenser im Gazastreifen geführt hatte. "Gantz ist eigentlich nicht nach unserem Geschmack", sagte er nach Angaben der "Times of Israel". Man habe den Wählern jedoch versprochen, alles zu unternehmen, um Netanyahu aus dem Amt zu entfernen, "deshalb haben wir verstanden, dass wir einen kühnen Schritt wagen müssen".

Ultrarechte wollen in Regierung

Staatspräsident Rivlin traf am Sonntag auch Vertreter von Netanyahus Likud, der strengreligiösen Schas-Partei sowie von der ultrarechten Israel Beitenu (Unser Haus Israel). Deren Parteivorsitzender Avigdor Lieberman erklärte zuvor, er werde weder Gantz noch Netanjahu für das Amt des Ministerpräsidenten empfehlen. Der Ex-Verteidigungsminister galt bisher als Königsmacher nach der zweiten Parlamentswahl in diesem Jahr. Er macht sich für eine Große Koalition von seiner Partei, Blau-Weiß und Likud stark.

Gantz hatte bereits vor der Wahl eine Regierung mit Netanyahu als Ministerpräsident abgelehnt. Als Grund nannte er die Korruptionsvorwürfe gegen Netanyahu, der sich am 2. Oktober einer Anhörung stellen muss. Danach droht ihm eine Anklage in drei Fällen.

Bis Montagnachmittag soll die erste Runde der Beratungen abgeschlossen sein. Am Mittwoch wird mit der Veröffentlichung des offiziellen Endergebnisses der Wahl gerechnet. Der vom Präsidenten beauftragte Kandidat hat für gewöhnlich bis zu sechs Wochen Zeit für die Bildung einer Koalition. Falls keiner der beiden eine Mehrheit hat, könnte Rivlin sich für direkte Verhandlungen zur Bildung einer Großen Koalition aussprechen. (APA, 22.9.2019)