Wie gefährlich ist US-Präsident Donald Trump für den Freihandel, für die internationale Stabilität und letzten Endes für den Weltfrieden? Diese Fragen, offen oder verklausuliert, stellen Diplomaten und Journalisten immer wieder nach den außenpolitischen Schnellschüssen des Präsidenten, der bei seinem Amtsantritt mit seinem "America first"-Schlagwort eine Wende verkündet hat. Seine maßlosen Drohungen an die Adresse der Europäischen Union und seine Loblieder auf Boris Johnsons zerstörerisches Brexit-Abenteuer, gekoppelt mit demonstrativen Versöhnungsgesten gegenüber den Diktatoren Nordkoreas, Russlands und Chinas, haben den dramatischen Rollenwechsel der USA vom Sicherheitsanker der freien Welt zum Symbol der weltpolitischen Unberechenbarkeit unmissverständlich bestätigt.

Ist der gern bellende US-Präsident Donald Trump ein "Papiertiger", also eine nur dem Schein nach starke Person?
Foto: APA/AFP/SAUL LOEB

Nach zwei Jahren entpuppen sich allerdings seine Drohgebärden, wie zum Beispiel gegen Nordkorea, immer öfter als leere Worthülsen. Im Falle der Iran-Politik geht es jedoch bereits um eine brandgefährliche Konfrontation zwischen dem Iran und dem von Washington unterstützten Saudi-Arabien, die nicht nur eine Ölkrise mit weltwirtschaftlichen Verwerfungen, sondern sogar einen regionalen Krieg mit unabsehbaren Folgen auslösen könnte. Der angesehene französische Islamforscher Gilles Kepel beschreibt in seinem neuen Buch die Folgen der schiitisch-sunnitischen Spaltung, der Veränderungen in Saudi-Arabien und des gesunkenen Ölpreises und vergleicht die Situation im Nahen Osten sogar mit jener in Europa im Jahr 1914.

Vergeltungsschlag

Ohne die Gefahren der kriegerischen Expansion des Irans, auch durch örtliche schiitische Milizen von Syrien bis Libanon und Jemen, zu unterschätzen, sehen die meisten internationalen Beobachter zu Recht die Aufkündigung des nach zwölfjährigen Verhandlungen im Sommer 2015 abgeschlossenen Nuklearabkommens durch die Vereinigten Staaten im Vorjahr als einen waghalsigen Alleingang. Trump hat sich selber ohne ein Konzept für die Zeit danach in ein auswegloses Dilemma manövriert. Trump muss einen blutigen Waffengang im Nahen Osten vermeiden, wenn er sein wichtigstes politisches Ziel, die Wiederwahl im November 2020, erreichen will.

Die iranischen Angriffe auf Erdöltanker in der Straße von Hormus, der Abschuss einer amerikanischen Überwachungsdrohne und nun der Angriff auf die saudischen Ölanlagen sind, so Gilles Kepel, Teile einer Strategie, die es zum Ziel hat, Trump den höchstmöglichen Preis für seine Sanktionen und Drohungen zahlen zu lassen.

Nach dem Abschuss der Drohne hatte Trump im Juni einen schon angelaufenen Vergeltungsschlag gegen iranische Raketenstellungen in der letzten Minute abgeblasen. Mit der in allen Details veröffentlichten Kehrtwendung hat Trump, nicht nur laut dem zurückgetretenen nationalen Sicherheitsberater John Bolton, Anzeichen von Schwäche gezeigt.

Die Iraner glauben anscheinend, dass das Risiko militärischer Vergeltungsschläge der USA gering bleibt. Ist also der gern bellende US-Präsident ein "Papiertiger", also eine nur dem Schein nach starke Person? Trumps Gratwanderung könnte im Falle weiterer Provokationen durch Teheran trotzdem einen Flächenbrand auslösen. (Paul Lendvai, 23.9.2019)