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Konzern-Chef Diess bei der Vorstellung eines neuen VW-Elektroautos im September.

Foto: AP/Michael Probst

Das Gerücht ist so alt wie die Affäre selbst. Als Volkswagen im September 2015 nach Vorwürfen der US-Umweltbehörde EPA Manipulationen bei den Abgaswerten von Dieselmotoren einräumt, dauert es nicht lange, bis der damalige VW-Chef Martin Winterkorn umfassende Aufklärung ankündigt und erklärt: "Es tut mir unendlich leid."

Ebenso rasch aber werden Fragen laut: Ist es wirklich möglich, dass die Chefs des Konzerns nichts von den Manipulationen wussten? Dass dies alles auf den "unteren Ebenen" geschah, ohne Kenntnisse der Spitze – zumal der damalige Chef Winterkorn als sehr detailverliebt galt und über alle Vorgänge in "seinem" Laden informiert werden wollte?

Nichts gewusst

Stets hieß es, niemand in der Chefetage habe von den Tricksereien eine Ahnung gehabt – weder Winterkorn noch der Österreicher Hans Dieter Pötsch, der bis Oktober 2015 Finanzvorstand war und dann als Chef in den Aufsichtsrat wechselte, noch der aktuelle VW-Chef Herbert Diess, der am 1. Juli als Markenvorstand zu VW gekommen war und ebenfalls einen österreichischen Pass hat.

Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ist allerdings anderer Meinung. Nach jahrelangen Ermittlungen wirft sie Diess, Pötsch und Winterkorn Marktmanipulation vor und ist sich sicher, dass das Volkswagen-Trio schon im Sommer 2015 von den unsauberen Vorgängen wusste.

Keine Ad-hoc-Mitteilung

Laut Gesetz sind Vorstände von börsennotierten Unternehmen dazu verpflichtet, kursrelevante Ereignisse wie zum Beispiel erhebliche finanzielle Risiken unverzüglich nach Bekanntwerden im Rahmen einer sogenannten Ad-hoc-Mitteilung öffentlich bekanntzumachen. Dadurch soll, wer Aktien kaufen oder verkaufen möchte, das Risiko besser abwägen können.

Ex-VW-Chef Martin Winterkorn (links) und der aktuelle Konzernchef, der Österreicher Herbert Diess, bei der Automesse IAA im Jahr 2018.
Foto: imago/Eibner

"Dieser Verpflichtung aus dem Wertpapierhandelsgesetz sind die Angeschuldigten nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft im Rahmen der Softwaremanipulationen bei den Dieselmotoren des Typs EA 189 nicht nachgekommen", heißt es in einer Mitteilung der Staatsanwaltschaft Braunschweig vom Dienstag.

Die Behörde stellt die Causa, die schließlich zur größten Krise in der Konzerngeschichte geführt hat, so dar: Nachdem die US-Behörden schon im Jahr 2014 Dieselmanipulationen auf der Spur gewesen waren, habe sich die Lage für VW im Frühjahr 2015 "zugespitzt".

Es wurde zunehmend deutlich, dass mit einer Offenlegung des "Defeat Device" erhebliche finanzielle Risiken im Milliardenbereich auf das Unternehmen zukommen würden, die sich, wie die Staatsanwaltschaft anmerkt, "später dann tatsächlich durch Zahlungspflichten in entsprechender Höhe auch verwirklichten".

Angst um Börsenkurs

Winterkorn, Pötsch und Diess sei sehr wohl bewusst gewesen, dass sie hätten informieren müssten. Doch, so die Staatsanwaltschaft, sie hätten "jeder für sich bewusst und gewollt von der erforderlichen Ad-hoc-Meldung abgesehen, um den Börsenkurs der VW-Aktien auf dem bisherigen Stand zu halten und Verluste der VW-AG zu vermeiden".

Die Anwälte von Pötsch (rechts), Diess (links) und Winterkorn halten die Anklage wegen Marktmanipulation im Zusammenhang mit dem Dieselskandal für nicht nachvollziehbar.
Foto: APA/AFP/JOHN MACDOUGALL

Stattdessen sei versucht worden, mit den US-Behörden einen Vergleich auszuhandeln, in dem nur von "technischen Problemen", nicht aber von "Betrug" die Rede sein sollte. Gelungen ist dies nicht, wenig später machte die US-Seite die Vorwürfe öffentlich.

In der 636 Seiten langen Anklageschrift wird Winterkorn vorgeworfen, seit Mai 2015 im Bilde gewesen zu sein, Pötsch seit Ende Juni und Diess seit Ende Juli.

Könnte teuer werden

Sollte es zu einer Verurteilung kommen, dürfte es für VW wieder teuer werden, dann können sich verärgerte Anleger auf das Urteil berufen. Bis jetzt hat VW bereits mehr als 30 Milliarden Euro an Schadenersatz und Strafen gezahlt. Doch zunächst muss das Landgericht Braunschweig erst über die Zulassung der Anklage entscheiden, das wird einige Zeit dauern. Sowohl die Anwälte der drei Beschuldigten als auch der VW-Konzern wiesen am Dienstag alle Vorwürfe zurück.

Teuer wird es auch für Daimler. Das Unternehmen hat im Rahmen der Dieselaffäre ein Bußgeld der Staatsanwaltschaft Stuttgart in Höhe von 870 Millionen Euro akzeptiert. Grund dafür ist laut der Behörde eine "fahrlässige Verletzung der Aufsichtspflicht in einer mit der Fahrzeugzertifizierung befassten Abteilung". (Birgit Baumann, APA, 24.9.2019)