"Es war die schwerste und traurigste Entscheidung unseres Lebens, aber die beste für unser unheilbar krankes Kind, um ihm lebenslange Schmerzen zu ersparen", erzählen Alexandra und Michael Dorner in der neuen Filmdoku von Patricia Marchart. Die darin porträtierten Menschen haben alle eines gemeinsam: sie erwarteten ein Wunschkind.

Alexandra und Michael Dorner sind das einzige Paar, das sich in der Doku zu erkennen gibt
Foto: www.liebe.fim

Schwangerschaftsabbruch als Entscheidung aus Liebe

Nach einem Organscreening in der 23. Woche, stellte sich heraus, dass der Sohn von Alexandra und Michael einen schweren Gendefekt hat. Seine Lebensaussicht: Krebsgeschwüre am ganzen Körper und massiven Entwicklungsstörungen – ohne Heilungschancen. An ein halbwegs selbständiges Leben ohne permanente Hilfe wäre nicht zu denken gewesen, also entschieden sich die Eltern für einen Abbruch. Es war eine Entscheidung aus Liebe. Im Film teilen sie und zwei weitere Paare ihre schmerzlichen Erfahrungen mit dem Thema.

Patricia Marchart hat den Film in enger Zusammenarbeit mit Lena Jäger, Obfrau vom Frauen*Volksbegehren und Projektleiterin vom Bündnis "Keinen Millimeter" produziert. Den beiden Frauen war es wichtig, einen Schwangerschaftsabbruch aus Perspektive der Eltern zu zeigen. Es sind Eltern, die glücklich schwanger waren. Eltern, die von einem Wunschkind sprechen. Eltern, die eine leidvolle Entscheidung treffen mussten und dabei immer nur das Wohl des Kindes im Auge hatte. Der Film soll auch zeigen, warum Vorschriften durch einen Arzt, ein Gesetz oder eine Kommission eine so persönliche und schwere Entscheidung nur noch leidvoller machen.

Zum Hintergrund

Viele Jahre lang galten die Strafrechtsbestimmungen zur Abtreibung aus dem Jahr 1975 (siehe WISSEN unten) als eine Errungenschaft der Frauenrechtsbewegung und als unantastbar. Die Bürgerinitiative #Fairändern, welche auch von hochrangingen Vertretern der Regierungsparteien unterstützt wird, machte das Thema plötzlich wieder aktuell, der STANDARD berichtete. Unter anderem wird auch gefordert, dass Spätabbrüche verboten werden. Derzeit ist es straffrei möglich, eine Schwangerschaft mit einem Kind, das mit einer schweren Fehlbildung geboren würde, über die Dreimonatsfrist hinaus abzutreiben. #Fairändern hält das für "Eugenik" und eine Diskriminierung von Menschen mit Behinderung. Das Bündnis #keinenMillimeter fordert alle Abgeordneten des Petitionsausschusses auf, die Bürger*inneninititaitve #fairändern ad Acta zu legen, damit Frauenrechte nicht eingeschränkt werden. Bisher wurden knapp 29.000 Unterschriften gesammelt.

Ein Verbot ist staatlich ausgeübte Gewalt an Frauen

Die Doku zeigt, wie fundamentalistische oder religiöse Gruppierungen, mit Ablegern in der Politik, immer wieder versuchen, den gesetzlich erlaubten Spätabbruch zu verhindern. Lena Jäger, Projektleiterin von "Keinen Millimeter" meint dazu: "Spätabbruch zu verbieten ist staatlich ausgeübt Gewalt an Frauen." Dass ein Verbot sogar tödliche Konsequenzen für die betroffenen Frauen haben kann, zeigte bereits der Dokumentarfilm "Abandoned" (Im Stich gelassen). Die Filmemacherin reiste dafür durch Europa und besuchte betroffene Frauen bzw. deren Hinterbliebene, denen ein legaler und medizinisch notwendiger Schwangerschaftsabbruch verwährt wurde. Mit Folgen: Eine Frau starb bei einer Fehlgeburt an einer Blutvergiftung, eine andere an einer Frühgeburt. Sie starben, weil ihnen Ärzte aus persönlichen Gewissensgründen einen Abbruch verweigerten. Laut Jäger, sei dies auch in Österreich ein massives Problem. "Die Einschätzung, ob eine vorliegende Fehlbildung schwerwiegend genug ist, entscheidet der behandelnden Arzt oder die Ärztin . Die Entscheidung ist also vollkommen willkürlich und der Arzt oder Ärztin kann aus Gewissensgründen sagen, dass der Abbruch nicht gemacht werden muss."

Wie willkürlich diese Entscheidung sein kann, zeigt die Geschichte von Sarah und Paul. Der Primararzt sah trotz der schwerwiegenden Fehlbildungen "keinen Grund für die Beendigung der Schwangerschaft" und verweigerte die Einberufung der zuständigen Kommission. Er und sein Team verzögerten die Befundung, gaben kaum Informationen weiter und brachten Sarah und Paul in eine psychische Ausnahmesituation. Sie wandten sich verzweifelt an eine Klinik in einem anderen Bundesland. Dort genehmigten die Ärzte den Spätabbruch. Laut Expertin lag "keine Behinderung, sondern eine unausweichliche, tödliche Erkrankung" vor. Zwei Ärzte, zwei völlig unterschiedliche Entscheidung. Paul, der betroffene Vater, meint: "Wir und unser Kind müssen das ganze Leben die Konsequenzen tragen; der Primar muss das nicht." Im Film fordert der Gynäkologe Univ. Prof. Dr. Dieter Bettelheim, dass Pränataldiagnostiker entsprechend ihrer rechtlichen Verpflichtung Paare ehrlich und vollständig über den Zustand ihres ungeborenen Kindes informieren müssen.

Es geht nicht um die Diskriminierung von Behinderten

"Es ist wichtig zu betonen, dass es in dieser ganzen Diskussion nicht um eine Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen geht", sagt DDr. Christian Fiala, Leiter Gynmed-Ambulatoriums in Wien und Salzburg. "Es geht um nicht lebensfähige Kinder oder um Kinder, denen ein Leben voller Operationen bevorsteht." Der Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe kritisiert, dass in der ganzen Debatte zu wenig darüber diskutiert wird, wer sich um ein Kind mit schweren Behinderungen kümmert. "Wenn sich die werdende Mutter nicht in der Lage sieht ein schwer behindertes Kind zu betreuen, dann bringt es auch nichts, sie zum Austragen des Kindes zu zwingen." Fiala fordert für Österreich eine Diskussion über die Verbesserung der medizinischen Behandlungsmethoden, ein umfassendes Fortbildungsprogramm für Gynäkologen und ausreichen psychologisch geschultes Betreuungspersonal. Würde dies nicht bald geschehen, würde man lediglich ein ohnehin bereits bestehender "Abtreibungstourismus" in jene Länder gefördert werden, in denen ein Abbruch auch im zweiten Drittel der Schwangerschaft möglich (z.B. Holland, Spanien, Großbritannien, Schweden) ist.

Scham und Schuldgefühle

Der Film will auch verdeutlichen, dass Paare, die sich für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden, von großen Schuldgefühlen begleitet werden. Das Thema wird nicht selten vor Familie und Freunden geheim gehalten. Zu groß ist die Angst vor Verurteilung und Benachteiligung im privaten aber vor allem beruflichen Kontext. Jäger dazu: "Nicht selten wird bei einem Spätabbruch erzählt, dass man das Kind verloren hätte. Dabei ist es gerade in so einer schweren Lebensphase wichtig, offen mit anderen darüber zu sprechen und sich Unterstützung zu holen."Sie ist der Auffassung, dass die römische-katholische Kirche als Abtreibungsgegner eine Teilschuld an der Tabuisierung des Themas hat. Das Beispiel aus dem Film: Andrea und Christian sind ebenfalls mit einem schwer kranken Fötus schwanger. Sie müssen eine Entscheidung treffen und fragen sich unterdessen, wo in der christlichen Überlegung ihr Sohn vorkommt: "Aus Sicht der kirchlichen Lehre müssen wir ihn zu diesem Leid verdammen und tatenlos danebenstehen, weil es Gottes Wille wäre." Für das Paar war deshalb klar, dass sie sich gegen die Kirchen-Doktrin und für den Spätabbruch entscheiden.

"Dass sich Menschen, die so eine schwere Zeit durchmachen, zusätzlich schuldig und schlecht fühlen hat zwei Gründe: Religion und Gesetz", ist sich Jäger sicher. "Solange Schwangerschaftsabbrüche dem Strafgesetz unterliegen, werden sie auch als Sünde gesehen und vor allem Frauen schwer belasten." (Nadja Kupsa 29.9.2019)

Der Trailer zum Film "Liebe ist stärker als der Tod"
IRHI