Gesundheitsministerin Agnès Buzyn findet, die väterliche Rolle könne auch von der Mutter übernommen werden.

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Erstmals seit der Einführung der Homo-Ehe im Jahr 2013 steht in Frankreich wieder eine wegweisende und hochumstrittene Gesellschaftsreform an. In Umsetzung eines Wahlversprechens will es Präsident Emmanuel Macron alleinstehenden Frauen und gleichgeschlechtlichen Paaren erlauben, eigene Kinder zu bekommen. Diese Neuerung ist der zentrale Punkt des neuen Bioethikgesetzes, dessen Beratung die Nationalversammlung am Dienstag aufgenommen hat.

Die Debatte wogt schon seit Wochen. Der nationale Ethtikrat CCNE deckt die neue Regelung, weil sie der gesellschaftlichen Entwicklung entspreche. Zudem sei sie in der Lage, "das Leid" von Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch zu beenden.

Risiken für die Entwicklung des Kindes

Die Gegner vermissen den Verweis auf die väterliche Funktion. Die Nationale Akademie der Ärzte erklärte am Wochenende, die "vorsätzliche Zeugung eines Kindes ohne Vaters" berge Risiken für die "psychologische Entwicklung und die Entfaltung" des Kindes. Die bisherigen Studien zu dieser Frage seien "methodologisch wenig überzeugend".

Gesundheitsministerin Agnès Buzyn wendete ein, die väterliche Rolle könne in der heutigen Gesellschaft offensichtlich auch von der Mutter übernommen werden: Jede vierte Familie – deren 1,7 Millionen – werde in Frankreich aus einer alleinerziehenden Mutter gebildet, meinte die liberale Ärztin, die Macron nahesteht. "Man sage nicht, all die Kinder in einer solchen Lage hätten Entwicklungsprobleme!"

Mutter und Mutter in der Geburtsurkunde

In der Geburtsurkunde von Kindern lesbischer Eltern ist der Eintrag "Mutter" und "Mutter" vorgesehen. Das folgt laut Buzyn der gleichen Logik, wie wenn sterile Hetero-Paare zur künstlichen Befruchtung greifen: Der Samenspender tauche in der Urkunde nicht auf. Allerdings sieht die Regierung eine Neuerung vor, die über gleichgeschlechtliche oder alleinstehende Frauen hinausgeht: Im Zuge der neuesten Debatte sollen sämtliche Kinder von Samenspendern das Recht erhalten, bei Volljährigkeit die Identität – eventuell nicht aber die Wohnadresse – des biologischen Erzeugers zu erfahren. Die Folgen könnten sehr weitreichend sein.

Generell offenbart das neue Gesetz die Schwierigkeit, der in Frankreich stets vorrangigen Forderung nach Gleichbehandlung nachzukommen. Werden schwule gegenüber lesbischen Paaren benachteiligt? Dagegen stehen natürlich biologische Gründe, da ein Mann kein Kind austragen kann. Konservative Kreise befürchten aber, dass die Neuerung bald auch zur Zulassung der Leihmutterschaft führen werde, um den Kinderwunsch schwuler Männer zu erfüllen.

Keine Leihmutterschaften

Macron hatte die Leihmutterschaft im Präsidentschaftswahlkampf explizit ausgeschlossen, und das neue Gesetz sieht auch keine neue Möglichkeit vor, einen Fötus durch eine Leihmutter – und sei es im Ausland – austragen zu lassen. Die Forderung nach Gleichstellung von lesbischen und schwulen Paaren bleibt aber im Raum stehen. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass gerade konservative Gegner der Homo-Ehe von 2013 zu bedenken geben, schwule Paare müssten sich gegenüber Frauen benachteiligt fühlen.

Die Zulassung der künstlichen Befruchtung für einen neuen Kreis von Frauen wirft weitere, überaus komplexe Fragen auf. Dazu gehört die Frage der Präimplantationsdiagnostik (PID), die heute schon für heterosexuelle Paare mit Genkrankheiten in der Familie möglich ist. Buzyn ist indes dagegen, diese Möglichkeit auch alleinstehenden Frauen zuzubilligen. Das würde "eugenischen Missbräuchen" Tür und Tor öffnen, indem sie eine "Vorausscheidung" ermöglichten, meint die Ministerin.

Wie auch immer diese Detailfragen – darunter auch die Frage der Befruchtung "post mortem" – geklärt werden: Die Macron-Partei "La République en Marche" und die Linke sind fast geschlossen für die Zulassung der künstlichen Befruchtung nicht nur für lesbische, sondern auch für alleinstehende Frauen. Das Gesetz dürfte deshalb in der Nationalversammlung eine klare Mehrheit erhalten.

Gegendemos am 6. Oktober

Die Republikaner laufen seit Wochen dagegen Sturm, sind aber im Parlament in der Minderheit. Am 6. Oktober wollen mehrere Dutzend konservative Verbände in Paris gegen die Neuerung auf die Straße gehen. Mit einem Massenauflauf wie gegen die Homo-Ehe 2013 ist aber nicht unbedingt zu rechnen. Die Bischofskonferenz lehnt das Gesetz zwar ebenfalls ab, ruft aber nicht zur Mobilisierung dagegen auf.

In Umfragen spricht sich eine Mehrheit von 68 Prozent der Franzosen für die Gesetzesneuerung aus. Die Gegner führen indes eine eigene Umfrage an, in der 82 Prozent der Franzosen befanden, mit künstlicher Befruchtung geborene Kinder müssten "einen Vater und eine Mutter haben". Daraus lässt sich vor allem ableiten, wie unterschiedlich die Antworten in einer Meinungserhebung je nach Fragestellung ausfallen, wenn es um so komplexe Themen wie die "PMA" (Abkürzung der künstlichen Befruchtung auf Französisch) geht.

Weitreichendere Regel als in Österreich

Unbestreitbar ist, dass sich die öffentliche Meinung im einst tiefkatholischen Frankreich in den letzten zehn bis 20 Jahren stark liberalisiert hat. Die Debatte dürfte davon Zeugnis ablegen – und auch in Länder wie Österreich ausstrahlen, wo Samenspenden bisher für lesbische Paare, nicht aber für alleinstehende Frauen zugelassen sind. (Stefan Brändle aus Paris, 24.9.2019)