Eineinhalb Jahre lang schaltete und waltete Herbert Kickl ungehindert im Innenministerium, mit über 30.000 Mitarbeitern sowie einem Haushaltsvolumen von rund 3,2 Milliarden ausgestattet – ehe ÖVP-Chef Sebastian Kurz den Freiheitlichen nach Auffliegen der Ibiza-Affäre als nicht mehr ministrabel erachtete. Seitdem gilt Kickl bei einer Neuauflage von Türkis-Blau als erster Anwärter für den FPÖ-Klubobmann – also jenes Amt, das er sich derzeit mit Norbert Hofer, Parteichef, aber Vizekanzler in spe, teilt.

Kanzler herbeizitieren, im Ministerrat Obstruktion betreiben, und, und, und: Bei einer Neuauflage von Türkis-Blau könnte Herbert Kickl "die Regierung vor sich hertreiben", heißt es – die Palette an möglichen Schikanen ist breit.
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Erst unlängst zu Kickls möglicher Schlüsselposition bei einer Fortsetzung der Koalition befragt, erklärte Kurz auf Ö1, dass er sich in die internen Entscheidungen anderer Parteien nicht einmische. Doch schon wenig später präzisierte der Ex-Kanzler via APA, dass die Zusammenarbeit zwischen Regierung und den jeweiligen Klubobleuten freilich "reibungslos" funktionieren müsse.

Auch wenn der Ex-Innenminister bei einem Türkis-Blau II nicht mehr von A wie Asyl bis Z wie Zivildienst und auch nicht bei der Durchführung von Wahlen oberster Zuständiger ist: Was könnte Kickl als Klubchef alles anrichten?

"Keine Frage, er kann die Regierung vor sich hertreiben", sagt Andreas Schieder, einst SPÖ-Klubchef zu Zeiten der nicht gerade einträchtigen rot-schwarzen Koalition, nun Delegationsleiter seiner Partei im EU-Parlament. Und in einem Punkt gibt Schieder sogar Kurz recht: "Statutarisch wie rechtlich" sei es dem jungen Altkanzler, der demnächst wieder einen Regierungsbildungsauftrag erhalten dürfte, "nicht möglich", auf die FPÖ einzuwirken, einen anderen Klubchef zu ernennen.

Mächtiger als Minister

Wegen der parlamentarischen wie regierungsinternen Usancen wäre es dem Klubchef einer Regierungsfraktion –und so auch Kickl – aber jederzeit möglich, sich als maßgeblicher Strippenzieher, aber genausogut als Sprengmeister einer Koalition zu betätigen, meint Schieder. Und er ist auch davon überzeugt: "In dieser Rolle hat man mehr Macht und Einfluss als ein Minister."

Denn sowohl an den Koordinierungssitzungen als auch bei den Ministerräten nehmen die jeweiligen Klubobleute teil. Zu den wöchentlichen Regierungssitzungen hält Parlamentarismusexperte Werner Zögernitz fest: "Dort haben sie wie die Staatssekretäre Rederecht, aber kein Stimmrecht." Da die Beschlüsse in den Ministerräten aber stets einstimmig erfolgen, können die Fraktionschefs in dem Gremium bestens Stimmung für oder gegen bestimmte Agenden machen.

Denn generell wandern sämtliche Gesetzesvorhaben über ihren Tisch, ehe sie im Nationalrat – zumindest mit Regierungsmehrheit – abgesegnet werden. Davor ist es stets Aufgabe eines koalitionären Klubchefs, für die entsprechende Disziplin bei seinen Abgeordneten zu sorgen. "Damit hat er quasi das Umsetzungsmonopol", erklärt Zögernitz, und auch: "Jeder Minister braucht ihn, damit seine Gesetze auch beschlossen werden."

Strich durch Terminkalender

Schieder beschreibt, wie Kickl als Klubchef die ganze türkise Regierungshälfte unter Druck setzen könnte: "Vor Abstimmungen kann man im letzten Moment mit Abänderungsanträgen drohen – und diese auch einbringen."

Ebenfalls in der Macht der Klubchefs und keineswegs von Regierungsmitgliedern: Über die Präsidiale, der auch alle drei Nationalratspräsidenten angehören, gestalten sie das Parlamentsgeschehen wesentlich mit. Bedeutet: Die Klubobleute mischen beim Ablauf von Plenarsitzungen mit, setzen die Tagesordnungspunkte fest und koordinieren die Ausschüsse.

Und auch dabei können sie die Koalitionsspitzen "sekkieren", wie es Schieder ausdrückt, denn: "Natürlich nimmt man vor ihren Auftritten im Parlament meist Rücksicht auf ihre anstehenden Absenzen" – etwa wenn bei Ministern ihr Bundesländertag anstünde. Bei Kurz aber, "der immer irgendwo" sei, ließe sich mit Ignoranz seines Terminkalenders "ganz leicht viel Stress erzeugen".

Abwahl aussichtslos

Genauso wie ein Kanzler beim Klubchef des Koalitionspartners nichts mitzureden hat, gilt auch seine Abwahl als höchst unwahrscheinlich. "Die Obleute sind in der Regel für die Periode vom Klub gewählt und haben damit starken Rückhalt", so Zögernitz – und schon gar nicht lasse sich eine Partei so jemanden von außen hinausschießen. Das heißt: Auch Kickl bliebe – komme, was wolle. (Nina Weißensteiner, 25.9.2019)