Groovt sich mit Schweinsbraten und Sauerkraut auf seinen "Hamlet" in St. Pölten ein: Regisseur Rikki Henry.

APA/ROLAND SCHLAGER

Englische Autoren, die auf deutschsprachigen Bühnen gespielt werden, gibt es jede Menge. Englische Regisseure, die in unseren Breitengraden inszenieren, sind dagegen rar. Da gab es Katie Mitchell, die in der Oper und im Schauspiel gleichermaßen gebucht wird, und da gibt es Robert Icke, der als große Hoffnung gehandelt wird, doch dann hört das Namedropping bereits auf.

In St. Pölten gibt es jetzt Rikki Henry aus South London, und auch ihm fallen keine weiteren Namen ein. "Die Theatersysteme auf der Insel und auf dem Kontinent sind einfach zu unterschiedlich", sagt er und wendet sich wieder seinem Schweinsbraten mit Sauerkraut zu. Der drahtige Mann mit dem eckig geschnittenen Haaransatz sitzt bereits seit Wochen in der niederösterreichischen Landeshauptstadt und inszeniert Shakespeares Hamlet. Was sonst? Das Stück kennt der 30-Jährige beinahe auswendig, seit er es in der Schule durchgekaut hat. Das hilft, Deutsch kann Rikki Henry nämlich kaum.

Die hiesige Theaterlandschaft, in der kennt sich der Mann aber aus. 2012 verbrachte er einige Zeit am Münchner Residenztheater, der Intendant hieß damals Martin Kušej, der jetzige Burgtheaterdirektor. Gemeinsam mit vier anderen Stipendiaten tauchte Henry ins deutsche Stadttheater ein, er lernte die Vorzüge des Repertoirebetriebs kennen, staunte über die ungeheuren Apparate mit den Hundertschaften an Beschäftigen, schloss Regisseure wie Andreas Kriegenburg oder Ulrich Rasche ins Herz, und kann sich bis heute nur die Augen reiben angesichts der Wichtigkeit der Dramaturgie im deutschsprachigen Theater. Am Young Vic in London, an dem Hernys Karriere begann, gibt es dagegen nicht einmal einen Dramaturgen.

Lieber am Regiepult

Dabei ist das Young Vic nicht irgendein Theater, unter den Londoner Bühnen ist es jene, die am aufgeschlossensten gegenüber Regie-orientiertem Theater ist. Zumindest war das unter dem Langzeitintendanten David Lan so, der Regisseure wie Luc Bondy, Ivo van Hove oder Patrice Chereau nach London holte und den Jungspund und ehemaligen Filmstudenten Rikki Henry als Regieassistenten engagierte. Lan und Kušej waren es auch, die das Austauschprogramm zwischen dem Residenztheater und dem Young Vic initiierten. Lan schließlich auch der, der Henry zu Peter Brook in Paris brachte.

Bei der Theaterlegende lernte Henry das Handwerk und eignete sich das an, was seine Regiearbeiten auszeichnet: eine andere Perspektive einnehmen, herkömmlichen Lesarten misstrauen. "Sei offen", das sei der wichtigste Ratschlag von Brook an den 23-jährigen gewesen. Was das konkret bedeutet, das konnte Henry gleich an sich selbst ausprobieren. Statt als Assistenten engagierte Brook den jungen Mann als Schauspieler – und das obwohl der noch nie selbst auf einer Bühne stand. Drei Jahre lang tourte Henry mit dem Ehedrama The Suit des Südafrikaners Can Themba durch 16 Länder. Dann war’s gut mit der Schauspielerei.

Viel Bumms

"Ich lehne mich lieber zurück und denke über Geschichten nach", erklärt Henry den Grund, warum er sich am Regiepult wesentlich wohler fühlt. So wie er zusammengesunken über seinem Schweinsbraten sitzt und immer wieder über einen Ausdruck sinniert, kann man ihn sich im grellen Scheinwerferlicht auch nicht wirklich vorstellen. Dabei hat der Regisseur nichts gegen kraftvolle Gesten auf der Bühne. "Rikki Henry macht explosives Pop-Theater mit viel Bumms", stand in der Süddeutschen Zeitung nach Henrys bisher wichtigsten Regiearbeit zu lesen. Auf Einladung von Kušej inszenierte er vergangenes Jahr im Münchner Marstall im Rahmen des "Welt/Bühne"-Festivals Antigone lebt der jungen Autorin Susanne Fournier.

Seitdem ist Henry nicht nur mit Kušej und dessen Dramaturgen in Kontakt, sondern auch mit dem Landestheater Niederösterreich rund um Marie Rötzer, wo er in wenigen Tagen eine entschlackte, auf das Familiendrama reduzierte Fassung des Hamlet auf die Bühne bringen wird. Im Mittelpunkt wird die Frage stehen: "Wenn man eine bestimmte Entscheidung trifft, wie kann man jemals wissen, ob es die richtige war." Ja, wie? Eine Antwort auf die Frage hat Rikki Henry noch nicht gefunden. (Stephan Hilpold, 24.9.2019)