Politiker sollten einmal bei Netflix reinschauen – zumindest jene der ÖVP und FPÖ, die am Mittwoch im Nationalrat für das neue Gewaltschutzpaket stimmen. In der Serie "Unbelievable" geht es um den Umgang der Polizei, der Justiz und des sozialen Umfelds mit Opfern sexualisierter Gewalt. Und sie erzählt davon, dass jede Betroffene anders auf ein solches Trauma reagiert.

Auch deshalb ist der Umgang mit schambesetzter sexualisierter Gewalt eine hochkomplexe Aufgabe, insbesondere für Institutionen wie die Polizei und den Gesundheitsbereich. Das wissen Expertinnen freilich schon länger als die Populärkultur, die Politik interessiert sich allerdings nicht dafür. Konkret die türkis-blaue Koalition, die nach vielen Frauenmorden innerhalb weniger Wochen Engagement zeigen wollte. Herausgekommen ist – kurz vor dem Platzen der Regierung – ein Gewaltschutzpaket, über das viele den Kopf schütteln. Etwa über das höhere Strafausmaß für Sexualstraftäter, das Kriminologinnen und Gewaltschutzeinrichtungen als sinnlose Maßnahme kritisieren.

Geringschätzung der Opfer

Denn dass die Anzeigenraten sehr niedrig sind und Sexualdelikte nur 2,4 Prozent aller gerichtlichen Verurteilungen ausmachen, liegt auch an dem "noch immer geringschätzigen Umgang mit Gewalt an Frauen", wie der Österreichische Frauenring in einer Stellungnahme zu Recht schreibt. Ein höheres Strafausmaß nützt nichts, wenn Gewalt schon vorab kleingeredet wird und die Suche nach der Schuld bei den Opfern noch immer Alltag ist – auch bei Gericht.

Opfer sexualisierter Gewalt reagieren unterschiedlich auf ein solches Trauma.
Foto: APA/dpa/Maurizio Gambarini

Diese Geringschätzung zeigt sich ebenso in der Ausweitung der Anzeigenpflicht, die ÖVP und FPÖ wollen. Somit müssen alle Beschäftigten im Gesundheitsbereich beim Verdacht auf eine Vergewaltigung einer Patientin oder eines Patienten Anzeige erstatten.

Man braucht kein Fachwissen, um zu erahnen, wie sich das anfühlen muss: Man befindet sich nach einem Übergriff in der Obhut des Gesundheitssystems und erlebt, dass jede dort tätige und völlig fremde Person – vom Krankenpfleger bis hin zur Röntgenassistentin – sich über die eigenen Vorstellungen, wie es weitergehen soll, hinwegsetzen kann, ja sogar hinwegsetzen muss. Wann und ob angezeigt wird – diese Entscheidung wird den Opfern entrissen.

Eine Anzeige und alles danach ist ein Kraftakt, der nur selbstbestimmt und gut begleitet passieren darf. Alles andere bedeutet für Betroffene einen weiteren Kontrollverlust – und das ist das Letzte, was sie brauchen können. (Beate Hausbichler, 24.9.2019)