Es hat schon eine gewisse Logik, unmittelbar nach einem Neun-Stunden-Flug von Wien nach New York einen Nobelpreisträger zu treffen, der, vereinfacht gesprochen, die innere Uhr erforscht hat. Michael Young, geboren 1949 in Miami, Florida, wartete geduldig in seinem Büro in der Rockefeller University, während zwei Journalisten vom Airport in Newark nach Manhattan pilgerten. Kein anderer Zeitpunkt wäre terminlich für ein Treffen möglich gewesen.

Wer durch mehrere Zeitzonen reist, sollte seinen Körper möglichst rasch an den Tag-Nacht-Rhythmus gewöhnen und nur essen, wenn er aktiv ist.
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Vor mittlerweile zwei Jahren hatte Young gemeinsam mit Michael Rosbash und Jeffrey Hall von der Brandeis University in Waltham, Massachusetts, den Medizin-Nobelpreis für wichtige chronobiologische Arbeiten erhalten. In seiner Gruppe wurde die zirkadiane Rhythmik der Taufliege Drosophila melanogaster beschrieben – dabei wurden mehrere Proteine entschlüsselt, die daran beteiligt sind und teilweise miteinander interagieren. Sie alle haben klingende Namen wie Timeless, Period oder Doubletime. Fast alle dieser Eiweißstoffe sind auch bei Mäusen und Menschen vorhanden.

"Master-Clock" im Hypothalamus

Es war schließlich 17 Uhr Ortszeit, als DER STANDARD und die Wiener Zeitung im Büro des Wissenschafters ankamen. Die innere Uhr der beiden Journalisten stand also schon auf 23 Uhr nachts. Zeit zum Schlafengehen! Oder? Young witzelte charmant über unseren Zustand und klärte gleich einen weit verbreiteten Irrtum bezüglich der "inneren Uhr" auf. Es gibt von ihr nämlich mehrere bei Vielzellern wie dem Menschen, und sie messen jeweils ihre eigene Zeit. Es gebe aber immerhin eine Art "Master-Clock", den Nucleus suprachiasmaticus (englisch: suprachiasmatic nucleus, SCN), der als wichtigste Steuerungsstelle des Tag-Nacht-Rhythmus gilt. Er sitzt im Hypothalamus des Gehirns von Säugetieren.

Wer eine derartige Expertise wie Michael Young hat, darf schon auch gleich Ratschläge geben: "Sie sollten so bald wie möglich zu Abend essen, denn der Körper ist voller innerer Uhren." Ob in der Lunge, in der Leber oder im Verdauungstrakt – sie alle folgen freilich einem anderen Takt als das Gehirn, wenn es nach einem Blick auf die Armbanduhr oder auf das Smartphone begreift, wie spät es ist.

Essen zur falschen Zeit: Ein großer Fehler!

Wir sollten vor allem darauf achten, jetzt nicht zur falschen Zeit zu essen, mahnte Young. Um Mitternacht New Yorker Ortszeit könnte der Körper nämlich meinen, es sei Zeit zum Frühstücken. Ein kleiner Happen für den späten Hunger wäre in diesem Fall das falsche Signal, sagte er. Und hatte auch ein Beispiel aus dem Laboralltag der Schlafforschung parat: Nachtaktiven Mäusen wurde ausschließlich mittags die Möglichkeit zu fressen gegeben. Sie änderten daraufhin ihren Rhythmus und wurden mittags munter. Danach schliefen sie wieder ein, waren aber dennoch jede Nacht unermüdlich im Laufrad unterwegs.

Michael Young, Chronobiologe und Nobelpreisträger.
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Gewebeanalysen hätten schließlich offenbart, dass der Nucleus suprachiasmaticus zwar weiterhin den Wach-Schlaf-Rhythmus steuerte, der Takt der anderen inneren Uhren aber gestört war. Die Nagetiere waren also nicht im Einklang mit sich selbst. Jedes Tier, also auch der Mensch, sollte nur dann essen, wenn es aktiv ist. In der gegenwärtigen Konsumgesellschaft könne man aber zu jeder Tages- und Nachtzeit ein Sandwich kaufen – ein Fortschritt, mit dem die biologischen Uhren erst seit kurzem konfrontiert seien.

Young prangerte Auswüchse an. Er habe einen Artikel über angeblich schlaffördernde Eiscreme für Kinder gelesen. Die Kids würden zwar müde werden, aber dabei durch den Zucker Energie zugeführt bekommen, was normalerweise Aktivität auslöst. Der Wissenschafter fand dazu klare Worte: "Das kann ich nur als vollkommen verrückt bezeichnen. Eine Einflussnahme auf die inneren Prozesse des Körpers, die nicht gesund sein kann."

Dissonanzen durch die Winterzeit

Am 27. Oktober werden innerhalb der EU die Uhren wieder zurück gestellt, die Winterzeit beginnt. Am 3. November wird es in den USA so weit sein. Kann diese Zeitumstellung, die mit 2021 nach einem eindeutigen EU-Bürgervotum für die Sommerzeit beendet sein soll, tatsächliche Auswirkungen auf den Wach-Schlaf-Rhythmus der Menschen haben? Young spricht in seiner Antwort von einem "biologischen Impact" und von "Dissonanzen". Natürlich könnten diese schlimmer sein, wenn man zum Beispiel eine dreistündige Zeitverschiebung beschließen würde, "aber sie sind da".

Auch der Idee, die Sommerzeit zu behalten, kann er nicht nur Positives abgewinnen: "Das ist so, als würde man Österreich eine Stunde näher zu oder weiter weg von New York versetzen." Es wäre wie eine Entscheidung, in ein anderes Land zu ziehen, so als würde man von Texas nach New York oder von Kalifornien nach Arizona übersiedeln. Wir würden uns daran gewöhnen, eine Adaptierung pro Leben würde keinen problematischen Impact haben. Schließlich gehe die Sonne in New York immer früher auf als in Dallas, sie gehe aber auch früher unter.

Ursache von Schlafstörungen

Dem Thema Tag-Nacht-Rhythmus ist Young auch heute noch treu. Der Nobelpreisträger beschäftigt sich aber vor allem mit genetischen Störungen der biologischen Uhren. Dadurch können Schlafstörungen entstehen. Youngs Team hat vor wenigen Jahren eine Genvariation bei einer New Yorker Familie entdeckt, die nie vor drei Uhr schlafen ging und bis zehn Uhr im Bett lag. "Wir fanden eine Mutation des Gens Cryptochrom. Der Tag-Nacht-Rhythmus dieser Menschen wurde so um einige Stunden zeitversetzt." Sie haben ein Schlafphasensyndrom (Delayed Sleep Phase Disorder, DSPD) entwickelt. Mithilfe türkischer Kollegen konnte man schließlich auch eine Korrelation zwischen dieser Störung und den genetischen Grundlagen von Fettleibigkeit (Adipositas) feststellen.

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Spätaufsteher sind also nicht unbedingt faul. Es gibt, wie Young erzählt, auch genetische Störungen bei Morgenmenschen. Forscher eines Labors an der University of California in San Francisco haben sehr lange Familien beobachtet, die sehr früh am Morgen, zwischen vier und fünf Uhr, aufstehen mussten, die aber auch sehr früh zu Bett gingen. Sie hatten eine Mutation des Period-Gens, eine andere Familie zeigte eine Mutation von Doubletime, die Casein Kinase 1 genannt wurde.

Young ist stolz auf seine Arbeit: "Selbst Familien, die ein ganz anderes Schlafverhalten haben als die Mehrheit der Menschen, werden von Genen und deren Mutationen beeinflusst, die wir in der Fliege entdeckten." Und er hat noch ein paar tröstliche Anmerkungen und ein Sprachbild für die beiden müden Journalisten: "Wer wie Sie sechs Stunden Zeitunterschied überfliegt, merkt, dass er seine Organe irgendwo über dem Atlantik, also in vorherigen Zeitzonen, zurückgelassen hat. Die Organe kommen erst langsam nach, wenn Sie sich nach der hiesigen Zeitzone richten. Im Lauf von ein paar Tagen resynchronisiert sich alles." (Peter Illetschko, 25.9.2019)