Der Südtiroler Glaziologe Georg Kaser war am IPCC-Sonderbericht zu Ozeanen und Kryosphäre beteiligt.

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Die alpinen Gletscher schmelzen besonders rasch. Im Bild: der Ochsenthaler Gletscher mit dem Silvretta-Massiv und Piz Buin.

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Die Meeresspiegel werden ansteigen, die Gletscher weiter schmelzen – in einer globalen Zusammenschau zeigt der Sonderbericht des Weltklimarates IPCC zu Ozeanen und der Kryosphäre detailliert den Stand der Dinge und erwartbare Entwicklungen. Die alpinen Gletscher sind besonders von der Schmelze bedroht, ausgerecht zeitgleich zur Präsentation des Berichts spitzt sich die Lage auf der italienischen Seite des Mont Blancs zu: Dort drohen Teile eines Gletschers einzustürzen. Der renommierte Gletscherforscher Georg Kaser war als einziger an einer österreichischen Institut tätiger Wissenschafter an der Erstellung des IPCC-Sonderberichts beteiligt.

STANDARD: Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Ergebnisse des IPCC-Sonderberichts zu den Ozeanen und der Kryosphäre?

Kaser: Für mich ist das wichtigste, dass dieser Sonderbericht überhaupt entstanden ist. Vor einem Jahr gab es einen wichtigen Sonderbericht zum 1,5 Grad-Ziel. Ein weiterer Bericht behandelte die Landoberflächen und der Klimawandel. Dieser IPCC-Sonderbericht war der erste in der 30-jährigen Geschichte des IPCC, in dem die Gebirge ein eigenes Kapitel bekommen haben. Das ist aus der Österreich-Perspektive etwas ganz Besonderes. Es gibt dazu jetzt keine sensationell neuen Ergebnisse, man ist einfach tiefer gegangen und hat mehr Details zu den globalen Zusammenhängen zutage gefördert.

STANDARD: Was war Ihre Rolle bei diesem IPCC-Sonderbericht?

Kaser: Meine Rolle war die eines sogenannten Review Editors, der die in den Verträgen zwischen Regierungen und dem Wissenschafterstab festgelegten Begutachtungsprozesse begleitet. Man spielt dabei die Rolle eines Mentors für das Autorenteam.

STANDARD: Welche Gebirge sind momentan am stärksten von Klimaveränderungen betroffen?

Kaser: Alle Gebirge sind ähnlich betroffen. Dieser Bericht behandelt die Gebirge nicht als Ganzes, sondern aus der Sicht auf die Kryosphäre – also den festen Zustand des Wassers: Eis, Schnee, Permafrost. Da sind die Dinge rein physikalisch nicht sehr verschieden, egal, ob man jetzt ein paar Tausend Kilometer nach Norden oder Tausend Meter in die Höhe geht. Die Gletscherschmelze trifft zunächst kleinere, weniger hohe Gebirge wie die Alpen. Erst später sind große, hohe Gebirge wie der Himalaya oder die Anden betroffen. Schwindendes Eis ist dort besonders problematisch, wo es große Trockenheit und wenig Niederschläge gibt. In Zentralasien oder in den tropischen Anden ist der Gletscherschwund deswegen so problematisch, weil wenn es dort keine Gletscher mehr gibt, gibt es ein halbes Jahr kaum Wasser.

STANDARD: Welche Rolle spielt die Gebirge im Gesamtsystem Erde?

Kaser: Die Gebirge wirken in vielfacher Weise nach außen. Man nennt die Gebirge ja die Wassertürme der Erde. Das stimmt auch, denn vereinfacht gesagt greifen die Gebirge wie Kämme in die Atmosphäre hinein und holen aus den angeströmten Luftmassen Wasser heraus. Und weil es dort oft sehr kalt ist, kann das Wasser saisonal liegenbleiben und nicht gleich herunterrinnen. Das Gebirge hat auch eine große Funktion, was die Ökosystemleistungen betrifft. Die Gebirge können Rückzugsorte für Pflanzen sein, oder für Menschen. Die Leute strömen im Sommer immer mehr ins Gebirge, weil es im Flachland zu heiß ist. Diese Zusammenhänge sind in dem Bericht sehr schön beleuchtet worden.

STANDARD: Welche politischen Forderungen leiten sich aus dem IPCC-Sonderbericht zu Ozeanen und der Kryosphäre ab?

Kaser: Die politischen Forderungen sind vor einem Jahr ganz deutlich im Sonderbericht zum 1,5-Grad-Ziel formuliert worden. Der jetzige Bericht hat nicht in dieser Form handlungsorientierte Ergebnisse. Ein wichtiges Ergebnis des jetzigen Berichts betrifft die [c1]Vorgänge am Rande der Westantarktis. Innerhalb kurzer Zeit könnte eine dynamische Kettenreaktion zu einem enormen Anstieg des Meeresspiegels führen. Daraus sehe ich die schon im 1,5-Grad-Bericht geforderten politischen Maßnahmen ganz stark untermauert. Denn an einen starker Anstieg des Meeresspiegels innerhalb kurzer Zeit, kann man sich nicht anpassen. Im 1,5-Grad-Bericht steht drinnen, wie man die notwenigen gesellschaftlichen Systemänderungen bewerkstelligen kann und es steht auch drinnen, dass diese innerhalb der nächsten zehn Jahre massiv in die Wege geleitet werden muss. Wir haben die Auswirkungen des Klimawandels über viele Jahre in die Zukunft projiziert, und sehen jetzt, in der Zukunft angekommen, dass wir immer richtig lagen. Im jetzigen Bericht behandeln wir einen Klimawandel, der schon länger begonnen hat und nun in großen Schritten fortschreitet. Und da muss entsprechend gehandelt werden. Das betrifft auch die kommende Legislaturperiode der österreichischen Bundesregierung, weil sonst ist es zu spät.

STANDARD: Wie können soziale und ökologische Ziele vereinbart werden?

Kaser: Der Großteil der Maßnahmen muss nicht unbedingt nachteilig sein, großteils haben die geforderten Maßnahmen positive Synergieeffekte zum Beispiel mit den UN Sustainable Development Goals. Es gibt da und dort Konfliktpotenzial zwischen Klima retten und den Entwicklungszielen, aber es gibt viel mehr positive Synergieeffekte. Man muss vorübergehend die Comfort Zone verlassen, wie wenn man in einen Gebirgssee geht und zuerst einmal zusammenzuckt. Aber wenn man einmal untergetaucht ist, ist es wunderbar und viel angenehmer als draußen am Ufer zu zittern. Diese Analogie soll ermuntern zu sagen: Es ist auf der anderen Seite vielleicht noch angenehmer. Das Gemeinwohl ist auf der Seite des geschützten Klimas sicher angenehmer als auf der hiesigen Seite. (Tanja Traxler, 25.9.2019)