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Wladimir Putin will ein neues Wettrüsten verhindern.

Foto: Reuters

Entspannungssignale aus Moskau: Russlands Präsident Wladimir Putin schlägt ein Moratorium für Kurz- und Mittelstreckenraketen in Europa vor, um ein neues atomares Wettrüsten zu verhindern. In der Nato trifft dies auf Skepsis.

Den Vorschlag soll Putin bereits in der vergangenen Woche unterbreitet haben. In einem Schreiben, das über die diplomatischen Kanäle an mehrere Dutzend Nato-Mitgliedsstaaten verschickt wurde, rief der Kreml-Chef dazu auf, auf die Stationierung von Raketen mit einer Reichweite von bis zu 5.500 Kilometern zu verzichten.

Geplatzter INF-Vertrag

Hintergrund ist der im Sommer geplatzte INF-Vertrag. Die USA hatten den noch zwischen Michail Gorbatschow und Ronald Reagan geschlossenen Abrüstungsvertrag, der die Vernichtung aller landgestützten Kurz- und Mittelstreckenraketen vorsah, im Februar zunächst ausgesetzt und dann im August tatsächlich auslaufen lassen.

Zwei Gründe wurden in Washington für die Kündigung geltend gemacht: Erstens halte sich Russland nicht an die Bestimmungen des Vertrags und baue seit Jahren heimlich landgestützte Marschflugkörper. Der Vorwurf richtet sich gegen die 9M729, die zu den atomar bestückbaren Iskander-Raketen zählen und deren Aktionsradius weit über das angegebene Maximum von 500 Kilometern hinausgehen soll – was Russland bestreitet.

Vorwürfe

Zweitens jedoch wollen sich die USA nicht von einem bilateralen Vertrag die Hände binden lassen, während China völlig unberührt davon seine Systeme weiterentwickelt. Der erst kürzlich entlassene US-Sicherheitsberater John Bolton hatte im Oktober 2018 diese Intention deutlich gemacht, indem er forderte, China solle sich dem Vertrag anschließen. Peking zeigte daran kein Interesse.

Die vergangenen Monate waren in der Raketenfrage eher von einem Kräftemessen zwischen dem Kreml und dem Weißen Haus geprägt als von Versuchen, den INF-Vertrag doch noch zu retten. So überschütteten sich beide Seiten mit Vorwürfen, den Vertrag seit langem zu unterhöhlen. Putin forderte nach der US-Kündigungsdrohung im Februar seinen Verteidigungsminister Sergej Schoigu auf, nun ein landgestütztes Pendant zur seebasierten Ballistikrakete Kalibr zu entwickeln. Nebenbei testete Russland eifrig sein gesamtes Raketenarsenal durch.

Proteste

Es waren gerade einmal zwei Wochen seit Auslaufen des INF-Vertrags vergangen, als die USA schon eine "konventionell konfigurierte" Mittelstreckenrakete testeten, womit sie heftigen Protest in Moskau ernteten. Die Tests wurden offenbar schon zu dem Zeitpunkt vorbereitet, als der INF-Vertrag eigentlich noch Gültigkeit besaß.

Putins jetzige Initiative kann als Versuch einer Schadensbegrenzung gewertet werden. "Russland hat bereits seinen Entschluss verkündet, keine Raketen kurzer und mittlerer Reichweite in Europa und anderen Regionen zu stationieren, solange auch die Amerikaner sich dessen enthalten. Wir haben die USA und ihre Verbündeten dazu aufgerufen, ähnliche Verpflichtungen auf sich zu nehmen, aber bisher kein Interesse bemerkt. Wir rufen Sie nun dazu auf, unsere Anstrengungen zu unterstützen und innerhalb der Nato für ein Moratorium für die Stationierung landgestützter Kurz- und Mittelstreckenraketen analog zu Russland einzutreten", heißt es in dem Brief, aus dem am Mittwoch die Tageszeitung "Kommersant" zitierte.

"kein glaubwürdiges Angebot"

Die Nato lehnt den neuen Vorstoß von Präsident Putin ab. "Das ist kein glaubwürdiges Angebot", sagte Bündnissprecherin Oana Lungescu am Mittwoch in Brüssel. Russland habe bereits Mittelstreckenwaffen vom Typ SSC-8 stationiert. Vor Verhandlungen müsse das SSC-8-System nachprüfbar zerstört werden.

Dabei ist Moskau anscheinend dazu bereit, den Wahrheitsgehalt seiner Worte überprüfen zu lassen. Putin jedenfalls hat in seinem Rundbrief die Notwendigkeit "zusätzlicher Verifikationsmaßnahmen" eingeräumt. Moskau sei bereit, die "technischen Aspekte" solcher Inspektionen zu erörtern, schrieb der russische Präsident.

Zu Zeiten des INF-Vertrags waren solche wechselseitigen Inspektionen ein Teil der vertrauensbildenden Maßnahmen. Allerdings sind die "technischen Aspekte" dabei kein unwesentlicher Punkt. Eine im Herbst 2018 vom russischen Militär mit großem medialem Aufwand gestartete Schauvorführung der umstrittenen 9M729 war von westlichen Diplomaten ignoriert worden, weil eine statische Demonstration wenig Aufschluss über deren Fähigkeiten geben könne, hieß es zur Begründung. Ob das Moratorium also eine Chance bekommt, hängt ganz wesentlich davon ab, wie weit Experten der Zugang zu Abschussanlagen gestattet wird. (APA, André Ballin aus Moskau, 25.9.2019)