Am Europäischen Tag der Sprachen, der am Donnerstag begangen wird, soll die sprachliche Vielfalt gefeiert werden. Es geht darum, das mehrsprachige Kind in seiner Ganzheitlichkeit zu betrachten und sich auf direkte oder indirekte Weise für alle Sprachen im Leben des Kindes verantwortlich zu fühlen. Nicht nur für die Sprache, die man selbst mit dem Kind spricht, sondern für alle weiteren, die letztendlich seine Mehrsprachigkeit ausmachen. Es geht also auch um eine moralische Verantwortung, sei es für die Deutschkompetenz oder die Kompetenz in anderen Sprachen.

Wenn Kinder spüren, dass die Menschen, die für sie sprachliche Vorbilder und Orientierungspunkte sind, an einem Strang ziehen und ihre Mehrsprachigkeit ernst nehmen, sind es schon mal sehr gute Voraussetzung für den Spracherwerb.

Nicht aufs Schreiben und Lesen vergessen!

Achten Sie auch auf die Lese- und Schreibkompetenz, wenn die Zeit dafür reif ist. Dem Kind sollte die Chance gegeben werden, die Sprache durch eigene Motivation zu erlernen – und das in Wort und Schrift. Nur wer lesen kann, wird ein höheres Sprachniveau erreichen und letztendlich auch die Freude am Sprechen behalten. Neben der Schulsprache wird eine Sprache, die nur mündlich beherrscht wird, verarmen. Muttersprachenunterricht oder ähnliche Angebote wirken dem entgegen.

Der Erwerb der Schriftlichkeit beginnt schon im ersten Lebensjahr. Beim Vorlesen und gemeinsamen Bilderbuchlesen werden Kinder mit Sprachmustern vertraut, die es nur in schriftlicher Form gibt. So bekommt auch Schrift eine persönliche Bedeutung, bevor das Kind zu lesen beginnt. Es ist die Basis für die spätere Lese- und Rechtschreibkompetenz.

Neben der Schulsprache muss die weiteren Sprachen durch gezielte Förderung unterstützen.
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Spracherwerb ist nicht linear

Wappnen Sie sich mit Geduld und einem langen Atem, denn Spracherwerb ist eine langsame Entwicklung. Manchmal beobachten wir, wie Kinder sprachlich riesige Sprünge machen. Dann kann es wieder länger dauern, bis das Kind den nächsten Schritt macht. Manchmal gibt es sogar Rückschritte – oder eine Sprache entwickelt sich schneller als die andere. Laut dem deutschen Verband für Logopädie dauert die Sprachentwicklung bei einsprachigen Kindern bis zum zehnten Lebensjahr. Und bei bilingualen Kindern kann es auf bestimmten Ebenen sogar noch länger dauern. Das heißt für Sie als Eltern: Seien Sie präsent und achtsam, aber vor allem geben Sie Ihrem Kind die Zeit, die es braucht. Letztendlich wachsen wir sprachlich ein Leben lang. Denken Sie an die vielen neuen Wörter, die es vor zwanzig Jahren noch nicht gegeben hat, etwa chillen oder Datenschutzgrundverordnung.

Mehrsprachige Erziehung kann auch herausfordernd sein. Vielleicht lehnt das Kind eine Zeitlang eine der Sprachen ab, vielleicht hat es Schwierigkeiten in der Schule, vielleicht versucht jemand, Sie von Ihrem Vorhaben abzubringen, Ihr Kind mehrsprachig zu erziehen. Werfen Sie Ihre Bemühungen nicht gleich bei den ersten Schwierigkeiten über Bord.

Der doppelte Spracherwerb ist kein linearer Verlauf. Er ist mit Auf und Abs verbunden. Am Ende des Tages wird Ihr Kind zwei oder sogar mehr Sprachen auf Muttersprachenniveau beherrschen. Und das ist allemal die Mühe wert. (Zwetelina Ortega, 26.9.2019)