Gott erhalt's! Ein wohlgekleideter Gentleman gibt sich der uralten männlichen Lieblingstätigkeit hin.

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Es ist eine gastronomische Konstellation, die in neunzig – nein, eher fünf- oder achtundneunzig – von hundert Fällen denselben Ausgang nimmt. Mann und Frau betreten ein Lokal, setzen sich an einen Tisch, bestellen bei Kellner eins ein Mineralwasser (er) bzw. ein Glas Bier (sie).

Kellner eins stellt das Gewünschte nicht höchstpersönlich zu, sondern übergibt die Bestellung an Kellner zwei. Kellner zwei serviert in Unkenntnis dessen, wer was bestellt hat. Sie dürfen dreimal raten, was er vor wen hinstellt.

Bingo! Das Bierglas steht vor dem Mann, das Wasser vor der Frau. Vor dem Genuss des Getränks muss also die klassische Austauschbewegung erfolgen, auf dass jeder das bekommt, wonach ihn gelüstet.

Wäre der Kellner im konkreten Fall eine Kellnerin gewesen, so täte dies gar nichts zur Sache. Denn der gedankliche Konnex zwischen Mann und Bier (weniger der zwischen Frau und Mineralwasser) ist ebenso fest wie genderübergreifend in den Hirnschalen verdrahtet und hat nebenbei einer grenzgenialen Heineken-Werbung Pate gestanden: Vier Damen brechen bei der Begehung eines zimmergroßen Riesenkleiderschranks in ein vollkommen hysterisches Gekreisch aus, von dem sie aber schnell ablassen, als von nebenan ein noch zigfach hysterischeres Gekreisch hörbar wird.

Ein Schnitt, und wir verstehen: In der Küche sehen – und vor allem: hören – wir vier junge Herren, die offenbar gerade einen zimmergroßen, bis zum letzten Regal mit Heineken-Flaschen gefüllten Riesenkühlschrank entdeckt haben und ob dieses Fundes vollkommen außer Rand und Band geraten sind. Ein elegantes Spiel mit dem Klischee.

Image der Männlichkeit

Das Klischee aber lautet: Bier gleich männlich, Bier gleich maskulin. So eisenhart ist diese mentale Verbindung von Gender und Getränk, dass man Bier von Rechts wegen eigentlich in penisförmigen Flaschen verkaufen und aus hodenförmigen Humpen trinken sollte.

Die Bezeichnung "Bockbier" kommt der maskulinen Natur des Biers nahe, weil sie insinuiert, dass das Bier zu solch geilen Böcken gehört, wie wir Männer es nun einmal sind (etymologisch haut die Sache allerdings nicht hin, weil sich das Wort "Bockbier" von der niedersächsischen Stadt Einbeck herleitet, wo es bereits im Mittelalter in Massen gebraut wurde).

Aber verdient das Bier sein exklusiv viriles Image tatsächlich? Wenn ich vorgenannten Spot mit meiner persönlichen Lebenserfahrung abgleiche, so sind mir nicht wenige Frauen untergekommen, die dem Bier mit großer femininer Anmut zusprachen und es jedem der angeblichen Frauengetränke – Frizzante, Alkopops, Hugo, Baileys und Eierlikör – bei weitem vorzogen. Einige legten sich dabei sogar veritable Bierbäuchlein zu!

In der Zeitschrift Falstaff stand unlängst zu lesen, dass "vier von fünf Frauen Biertrinkerinnen" und bei den Bier-Jungsommeliers gar 80 Prozent der Absolventen weiblich sind. Dazu passt eine Meldung, die uns kürzlich aus München erreichte: Beim Oktoberfest 2019 war die erste Alkoholleiche nicht ein Mann, sondern eine 18-jährige Britin, die bereits zehn Minuten nach dem einleitenden "O'zapft is" von den Sanitätern weggetragen werden musste.

Die Emanzipation hat in den Ausnüchterungszellen Einzug gehalten. Wäre es da nicht an der Zeit, Gendergerechtigkeit walten zu lassen, dem Bier seinen patriarchalen Nimbus zu nehmen und es als Getränk in einer schönen Äquidistanz zu Mann und Frau zu positionieren? Vielleicht.

Drei Erklärungsversuche

Oder vielleicht auch nicht. Hier drei Erklärungsversuche, warum Bier eben doch ein ganz besonderes Naheverhältnis zum geschwänzten Geschlecht besitzt.

Erstens: Es hat mit dem körperlichen Fassungsvermögen zu tun, mit der Tonnage, die bei Männern üblicherweise größer ausfällt als bei Frauen. Daher verlangt der männliche Pansen beim Alkoholkonsum nach einer intensiveren Befüllung, welche nur das Bier gewährleisten kann.

Schließlich wird Frizzante, Baileys und Eierlikör nur selten, und wenn, dann nur in Fällen von fortgeschrittenem Alkoholismus, in Halbliter- oder Literquanten getrunken. Die Bestellung "Herr Ober, bitte noch ein Krügel Eierlikör" hört man im Gasthaus selten.

Es ist die Menge, die es macht. Unter uns Männern gelten nur das Krügel oder die Maß als satisfaktionsfähig, das Seidl ist grenzwertig und der Pfiff ein Witz. In der Kult-Disco "Oberbayern" am Ballermann in Mallorca gibt es Bier in durchsichtigen Glas- oder Plastikröhren, die meterweit in die Höhe ragen und geschätzt zwanzig oder dreißig Liter fassen.

Das sind die Mengen, die dem richtigen Mann angemessen sind, da geht sich die Leberzirrhose mit einem einzigen Suff aus. Passende Begleitmusik zum Trinkgenuss: der Ballermann-Hit Ein Leben lang dieselbe Unterhose an von Peter Wackel, mit der denkwürdigen Textzeile "Ich sag es jeden Tag auf's Neue, alle Männer sind doch Säue".

Zweitens: Die Liebesbeziehung zwischen Mann und Bier hat eine lange, lange Tradition und gehört daher anerkannt und gewürdigt. Zu den bekanntesten Biertrinkern der Geistesgeschichte zählen Kapazunder wie William Shakespeare, Martin Luther, Schiller und Goethe, Edgar Allan Poe, Heinrich Heine, Wilhelm Busch, Hemingway sowie last, aber wahrlich not least der gloriose Poet Jean Paul.

Der zog sogar allein des Bieres wegen von Berlin nach Bayern, wo seine Bierlieferanten mit dem Liefern kaum nachkamen. Jean Pauls Frau Caroline (selber Biertrinkerin?) berichtet von einer Szene, die schnurgerade ins Gemüt geht: "Bei der Einfahrt eines Bierfasses läuft er seliger umher als bei dem Eintritt eines Kindes in die Welt ... Mit solcher Ungeduld werden die Stunden gezählt und schon im Voraus mit Trinken gefastet."

Die vorhergehende Aufzählung möge man nebenbei als schlagende Widerlegung des (weiblichen?) Vorurteils nehmen, wonach Bier den Mann naturgemäß zum Dumpfgummi mache. Und: Von berühmten Biertrinkerinnen hat man noch wenig gehört.

Virile Bräuche

Drittens: Aufgrund des langen Zusammenlebens von Bier und Mann haben sich vielerlei Bräuche entwickelt, die diese Beziehung fördern und festigen. Man denke an den Stammtisch, den gemeinsamen Fernsehabend beim Fußballspiel oder an freiheitliche Parteitage, wo in stets maskulin dominierten Runden in der Tradition von Shakespeare, Goethe und Schiller eine Maß um die andere hinuntergegossen wird (sosehr Herbert Kickl dem freiheitlichen Politikerideal auch entgegenkommt: dass er sich immer sichtbar zu einem Schluck Bier zwingen muss, fördert sein Renommee nicht).

Und selbstverständlich gibt es die Bierkommerse der Burschenschaften, in deren Gefolge gehäuft Flatulenzen auftreten, für die es sogar einen eigenen Namen gibt ("Bierfriederich").

Jawohl, auch Frauen gehen aufs Oktoberfest, auch Frauen schauen zu tief ins Krügel, auch Frauen trinken Bier. Aber trotz aller genderfeministischen Bemühungen, das Ruder herumzureißen, ist und bleibt das Bier in letzter Instanz doch eine männliche Domäne. Tut mir leid, meine Damen. Ein kleiner Trost: Die feminine Vorherrschaft beim Eierlikör werden wir euch ganz sicher nicht wegnehmen. (Christoph Winder, RONDO, 21.1.2020)