Eine Fünfzimmerwohnung in Athen, die Modeherzen höherschlagen lässt: Rund 3.000 Kleidungsstücke und Accessoires wurden hier zusammengetragen, die Hälfte davon stammt vom österreichischen Designer Helmut Lang, als er die gleichnamige Marke von 1986 bis 2005 leitete.

Endyma nennt der 26-jährige Sammler Michael Kardamakis sein Archiv, das zugleich ein E-Shop ist. Das bedeutet auf Griechisch schlichtweg Kleidung. Als er in England Kunstgeschichte studierte, begann er, auf Ebay Designerklamotten zu erstehen.

Schaut Helmut-Lang-Klamotten lieber an, statt sie selbst zu tragen: Michael Kardamakis.
Foto: Endyma Helmut Lang Archive / Chris Kontos

Er versah sie mit detaillierten Beschreibungen, die über Material und Geschichte informierten, und verkaufte sie teurer weiter, um vom Gewinn neue Produkte zu erstehen. Über die Jahre entstand so ein Archiv, das mittlerweile auch Designer anderer Labels besuchen, um Vintage-Kleidung auszuleihen, zu kaufen oder zu studieren.

STANDARD: Was haben Sie heute angezogen?

Michael Kardamakis: Leider nichts von Helmut Lang. Wir verbringen so viel Zeit damit, seine Mode zu reinigen und zu restaurieren, ich fände es schwierig, auch noch die ganze Zeit Entwürfe von ihm zu tragen. Meist ziehe ich sowieso nur die Stücke von ihm an, die man leicht findet. Jeans und T-Shirts, aber nichts Verrücktes. Die konzeptionellen Entwürfe schaue ich mir lieber nur an.

STANDARD: Weil sie Kunstwerke für Sie sind?

Kardamakis: Das hat schon eine gewisse Ähnlichkeit, ich habe als Sammler großes Vergnügen daran, sie zu zeigen und zu erklären, was an ihnen besonders ist. Das gibt mir mehr, als sie zu tragen und dann mit Wein zu bekleckern.

STANDARD: Gibt es nicht einen ständigen inneren Kampf zwischen dem Sammler, der alles behalten möchte, und dem Händler, der von den Verkäufen leben muss?

Kardamakis: Total. Mein Ideal wäre ohnehin, nichts verkaufen zu müssen. Ich habe das Projekt gestartet, als ich an der Uni studierte, um damit Geld zu verdienen. In den letzten Jahren habe ich verstärkt mit Modehäusern zusammengearbeitet, die Langs alte Entwürfe sehen wollten, um neue Produkte herzustellen. Ich kann es mir nun leisten, Schätze nicht verkaufen zu müssen und mehr ein Sammler zu sein.

STANDARD: Wie viele Entwürfe von Helmut Lang besitzen Sie?

Kardamakis: Ich habe schon länger nicht mehr gezählt, aber ich schätze 1.500 Teile. Aber bei einer Sammlung geht es nicht um die Menge. Es ist total leicht, bestimmte Lang-Basics wie Jeans und T-Shirts zu finden. Ich versuche, meine Sammlung zu verfeinern. Jedes Stück erzählt eine spezielle Geschichte.

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STANDARD: Sie begeistern sich vor allem für ausgefallene Stücke?

Kardamakis: Im Gegenteil. Seine stärksten Entwürfe sind für mich die Basics, sie haben die Modewelt seiner Zeit geprägt und verändert. Er hat genommen, was die Leute auf der Straße tragen, und es mit einem Twist versehen.

Er hatte ein großes Bewusstsein für Alltagsmode. Seine Sachen altern gut, die Proportionen stimmen, man trägt sie gern für eine lange Zeit. Sie haben alles, was der aktuellen Mode fehlt, die nur für den Moment produziert wird. Es geht nicht darum, wie gut ein Mantel verarbeitet ist. Er soll nur mehr symbolisieren, dass man sich leisten kann, was gerade angesagt ist. Tonnen von Produkten werden produziert und vernichtet, das macht mich verrückt.

STANDARD: Ihr Archiv hat also auch einen pädagogischen Anspruch?

Kardamakis: Helmut Langs Kleider sind schwierig. Sie funktionieren auf Instagram nicht als Hingucker. Jungen Leuten muss man den Kontext erklären. Ich wurde in den 1990er-Jahren geboren, habe noch erlebt, dass man keine schönen T-Shirts für Männer bekommen hat. Damals gab es entweder High Fashion, die nichts mit dem normalen Leben zu tun hatte, oder ganz gewöhnliche Kleidung. Lang schuf eine Verbindung zwischen diesen beiden getrennten Bereichen.

Er mischte High und Low, kreierte simple Basic-Teile aus extrem wertvollen Materialien, aber auch teure, aufwendige Entwürfe aus billigen Materialien. Das ist heute selbstverständlich, war aber damals revolutionär. Mein Archiv ist auch der Versuch, auf die Pausetaste zu drücken und zu zeigen, was schon alles an großartiger Mode da ist.

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STANDARD: Wie sind Sie an Ihr Fachwissen gekommen?

Kardamakis: Hauptsächlich durch Erfahrung. Helmut Lang war auf eine Art sehr starr, er hat sich nicht sonderlich verändert. Heute würde man sagen, er war ein Grumpy Old Man, der dieselben Sachen immer wieder machte. Es gibt Entwürfe, zwischen denen liegen 20 Jahre, und sie sehen beinahe gleich aus. Gleichzeitig ist mein Wissen über Lang sehr limitiert. Ich weiß so gut wie nichts über ihn persönlich. Es hat mich auch nie interessiert, Helmut Lang zu treffen.

STANDARD: Lang hat 2015 nach einem verheerenden Brand in seinem Lager 6.000 Modelle geschreddert und ein Kunstwerk daraus gemacht. Gibt es noch ein offizielles Archiv der Firma?

Kardamakis: Er hat zuvor viele Entwürfe an Museen gespendet, wie dem Wiener Mak oder dem Metropolitan Museum in New York. Allerdings landeten vor allem die konzeptionellen Entwürfe in Museen und nicht die Basics, die ich toll finde. Was vom Brand weitgehend zerstört war, wurde in Kunst verarbeitet. Der Rest ging an seine PR-Agenten und landete auf Ebay. Vor ein paar Jahren waren dort viele Samples zu finden, einige hatten noch Wasserflecken von den Löscharbeiten. Es ist ein Mythos, dass Helmut Lang sein gesamtes Archiv geschreddert hat, um einen klaren Strich unter seine Modephase zu ziehen.

STANDARD: Warum hat er sich aus dem Unternehmen zurückgezogen?

Kardamakis: Es ist doch gut, wenn eine Ära zu Ende geht. Er hat einen bestimmten Moment in der Modegeschichte verkörpert. Ich respektiere ihn dafür, dass er mit einem Knall aufgehört hat. Ich glaube, er wusste, dass er nicht mehr cool ist, dass seine große Zeit vorbei war. In den 1990er-Jahren trug jeder Jeans von ihm, in den 2000ern war der Massenappeal vorbei. Er war nicht mehr die Avantgarde, sondern kleidete Kreative mit Geld ein. Man kann nicht darüber jammern, dass er aufgehört hat. Es gab gute Gründe dafür.

Die Kleider seiner letzten Kollektionen sind ausgefallen und schwierig zu tragen. Man versteht, dass sie damals keiner kaufen wollte. Ich habe viele dieser Meisterstücke von Mitte der 2000er-Jahre in meiner Sammlung. Einige von ihnen haben noch die Etiketten mit den Originalpreisen, sie wurden um 90 Prozent verscherbelt.

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STANDARD: Sie sammeln sowohl Entwürfe für Frauen als auch für Männer?

Kardamakis: Ja, aber ich mache immer Scherze darüber, dass ohnehin alles Männermode ist. Er machte Mode für sehr große, sehr dünne Frauen. Also eigentlich für schmale Jungs. Lang wollte stets dieses Image eines Designers schaffen, bei dem nichts dem Zufall überlassen ist, der jedes Detail bewusst setzt. Das stimmt ja auch für eine bestimmte Phase. Aber man darf nicht vergessen, es gab auch Entwürfe, die richtig schlecht gemacht waren. Ich habe Jeans, die ohnehin schon sehr klein geschnitten sind. Dann wäscht man sie, und sie schrumpfen um drei Größen.

STANDARD: Celebritys wie der Rapper Kanye West begeistern sich für Helmut Lang. Kommen viele Promis zu Ihnen ins Archiv?

Kardamakis: Als West seine ersten Yeezy-Kollektionen entwarf, war mein Archiv involviert. Sie wussten genau, welche Stücke von Lang sie sehen wollten, was sie brauchen konnten. Ich habe auch mit anderen Bands und Rappern kooperiert, aber das ist nicht meine Priorität. Oft wird man gar nicht genannt, aber mir ist das wichtig, wenn ich Sachen verleihe. Eigentlich ist es auch gegen meine Haltung als Archivleiter, jemandem etwas zu leihen, der es dann vollschwitzt und auf der Bühne damit herumhüpft.

STANDARD: Ist es durch das erneute Interesse für den Designer schwieriger geworden, gute Stücke zu finden?

Kardamakis: Einerseits ja, aber gleichzeitig gibt es mehr Quellen. Ich bekomme viele Anfragen und Angebote, wenn Leute ihren Kleiderschrank ausmisten. Manchmal tausche ich auch Raf Simons gegen Helmut Lang. Und ich suche regelmäßig alle Plattformen ab. Aber im Grunde bin ich ein Jäger: Nichts macht mehr Spaß, als in einer Privatwohnung zu sein, und plötzlich macht jemand seinen Kleiderkasten auf, und man entdeckt die irrsten Schätze. (Karin Cerny, RONDO, 27.9.2019)

Michael Kardamakis hat etwa 1.500 Helmut-Lang-Teile in seinem Archiv. Sie wurden zwischen 1986 und 2005 designt.
Foto: Endyma Helmut Lang Archive / Chris Kontos