Arbeitet in seinem Retzer Refugium die Vorschläge der Wirklichkeit um in Stücke voller Empathie: der gebürtige Kärntner Peter Turrini, der am Donnerstag 75 Jahre alt wird.

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(Direktionsbüro eines heimischen Stadttheaters. Der bundesdeutsche Intendant, bis an die Zähne mit Jovialität bewaffnet, hinter seinem Mahagonischreibtisch. Vor ihm, in der Haltung still zur Schau getragenen Stolzes, der große heimische Dramatiker Peter Turrini. Er wird heute Donnerstag 75 Jahre alt.)

INTENDANT: Na, da schwillt der Kamm, da hüpft das Herz im Busen, nicht wah‘, mein lieber Turrini? "Prophet empathischer Verhältnisse zwischen den Menschen", "Anwalt der kleinen Leute", das alles hat euer famoser Herr Bundespräsident über Sie gesagt! Überhaupt, die kleine Andachtsstunde zu Ihren Ehren gestern: Das Feiern habt Ihr Ösis trotz Rechtspopulismus kein bisschen verlernt, Tadellöser!

TURRINI: Mir hat, mit Verlaub, der erste Teil der Rede am besten gefallen. Als der Herr Bundespräsident auf meinen italienischen Vater Ernesto, einen Tischler, zu sprechen kam. Als er auf die Aura von Fremdheit und Einsamkeit hinwies, die diesen stillen, rechtschaffenen Mann in unserer Kärntner Heimat umgab.

INTENDANT: Das ist doch Schnee von gestern, nicht wah‘, Turrini? Da pfeift kein Schwein danach. Wir wollen ein neues, total aufregendes Stück von Ihnen haben! Etwas wie diese weltberühmte "Rozznjogd". Nur halt aufgeweckter, moderner, nassforscher, verstehen Sie? Ein nacktes Paar, das seine Unterkleidung auf den Müllhaufen der Geschichte wirft. Ich sehe die Fortsetzung förmlich vor mir: Greta Thunberg zieht ein angewidertes Gesicht. Sie packt ihr iPhone und schmeißt es…

TURRINI: Bitte, Herr Direktor. Ich schreibe keine Karikaturen. Ich habe im Gegenteil immer versucht, meinen Figuren Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Das konnten Putzfrauen sein wie in Josef und Maria. Das waren Stahlarbeiter, verzweifelte Priester. Bei mir sagt ein Emigrant mit schwarzer Hautfarbe: "Ich liebe dieses Land". Der einzige Satz, den er in der Sprache seines Gastlandes formuliert.

INTENDANT: Aber Turrini! Wie soll das eine postdramatische Regisseurin aus Gießen auf die Reihe kriegen, hm?

TURRINI: Ich habe soeben ein Libretto über Franz Schubert geschrieben, für eine Oper. Die Handlung ist einfach. Schubert fährt nach Atzenbrugg. Er wird von aller Welt verehrt. Doch er ist unfähig, sich gegenüber Frauen normal zu artikulieren.

INTENDANT: Was schert das Publikum ein dicker, schüchterner Syphilitiker? Sie müssen es krachen lassen! Zack, zack, zack.

TURRINI: Ich würde vorziehen, es nicht krachen zu lassen.

INTENDANT: Enthemmen Sie sich, Sie biederer Geist. Geben Sie Ihrem Schubert einfach Wodka-Red-Bull zu trinken. Ibiza, mein lieber Turrini! Ihr neues Stück muss "Ibiza" heißen! Nicht Atzenbrugg. (Vorhang.) (Ronald Pohl, 26.9.2019)