Deichkind protestieren auch gegen Fake-News: "Ich glaube ab jetzt nur das, was stimmt."

Foto: Auge Altona

Einer der ältesten Träume der Menschheit ist nicht nur der Traum vom Fliegen. Es geht auch darum, Party zu machen und gute Drogen zu nehmen. Dadurch werden die Verhältnisse zum Tanzen gebracht. Das Ergebnis lautet in Folge Freiheit. Wir haben also einen Traum ... Ah, Moment, warte, gleich fällt er uns wieder ein!

Während also die Frauen vom Stamm die schwere Feldarbeit, die Aufzucht der Kinder und die Sache mit der Zubereitung fester Nahrung erledigen, ziehen sich die Männer tage- und nächtelang ins Versammlungszelt zurück. Dort drin hacken sie sich rituell weg, um so lange einen Mulatschag zu veranstalten, bis ein kompletter Pallawatsch entsteht. Drei Tage wach. Im Kopf blubbert es. Heim zu Mutti! Diese Woche gehe ich lange nicht mehr fort.

deichkindTV

Das deutsche Partykollektiv Deichkind steht dabei seit 20 Jahren an vorderster Front einer im Wesentlichen vollkommen überflüssigen Bewegung. Es geht um eine freche, aber doch mitunter unterhaltsame männliche Bestemmhaltung in Sachen asozialer hedonistischer Komplettverblödung, aber nicht ganz – und darum, nicht immer so früh nach Hause zu müssen. Die anderen aus der Gang dürfen doch auch alle bis übermorgen im Club bleiben, nur ich soll immer schon nach der ersten Nacht mit dem ersten Bus heim! Das Konzept von Deichkind ist so alt wie die Jugendkultur: Für immer nie gescheit! Und: Im Rudel noch blöder.

Gute Laune, schlechte Gegend

Ausgehend von der Basis eines fetten deutschen Hip-Hops, allerdings ohne jede breitbeinige Attitüde oder Frauen in Bikinis in irgendwelchen italienischen Leasingautos mit Schalensitzen und einem CO2-Ausstoß wie ein Kreuzschiff im Mittelmeer, entstanden so in den letzten Jahren diverse Klassiker der guten Laune. Manche davon sind von den Texten her längst in die Alltagssprache eingegangen, ohne dass die Leute deren Urheber kennen müssten: "Remmidemmi (Yippie Yippie Yeah)", "Arbeit nervt", "Bück dich hoch", "Like mich am Arsch".

deichkindTV

Das neue Album trägt den Titel "Wer sagt denn das?". Es wurde nach dem Abgang von Ferris MC im verbliebenen Kollektiv geschrieben. Den Frontmannposten am Mikrofon und in den Videos übernimmt wie gewohnt der stangenlange Hansl Kryptik Joe alias Philipp Grütering. Sebastian "Porky" Dürre und Henning "La Perla" Besser sind für die Produktion und die Konzeption der Videos und Bühnenshows zuständig.

deichkindTV

Wer schon die Videoclips der musikalischen Vorboten zum Album gesehen hat, weiß: Deichkind funktionieren vor allem über die visuelle Ebene. Dabei geht es in "Richtig gutes Zeug", dem Titelsong "Wer sagt denn das?", "Keine Party" und aktuell in "Dinge" sowohl um die altbewährte Forderung nach affirmativ gedeuteter Ausschweifung. Eine Generation heutiger Alt-Raver um die 40 hinterfragt trotz Einforderung alter Grundbedürfnisse nach "richtig gutem Zeug" bei richtig holprigen Reimen aber auch die Zustände:

"Warum muss man denn gleich feiern, wenn die Eltern mal nicht da sind? / Möbel aus dem Fenster? Hä? Das ist doch blanker Wahnsinn. / Auf Partys nehmen sie Drogen und sind später dann am Reiern. Normale Menschen liegen jetzt schon lange in der Heia. / Der permanente Gruppenzwang ist kaum noch zu ertragen. Bei so viel Hedonismus, ja, da platzt einem doch der Kragen."

deichkindTV

Im Clip zum zitierten Song "Keine Party" tanzt sich Hipsterschauspieler Lars Eidinger als Deichkind honoris causa mit schütterem Haar und etwas abgerockt wie ein Berserker durch die hässlichsten Orte Berlins. Die elektronischen Beats und synthetischen Sounds klingen auf dem ganzen Album brutal zusammengehauen. Sie machen schlimme sägende Sounds. Dies ist eine wirklich hässliche Musik, gemacht für die große Bühne. Deichkind sind mit ihrem Kasperltheater auf LSD enorm erfolgreich.

In "Richtig gutes Zeug" versucht Eidinger jenseits von Jedem ein letztes Sixpack vor dem Schlafengehen heil zur Kassa zu bringen. Parallel dazu betreibt Kryptik Joe, behangen mit Luxusgegenständen wie ein Weihnachtsbaum, Konsumkritik. Die Verhältnisse sind kompliziert. Sie tanzen nicht, aber die Werte wanken.

Immer wieder Party

Dazu hört man schön verdichtetes Alltagsgebrabbel: "Richtig gutes Zeug, richtig gut. Mega schwer zu kriegen. / Wirklich schwer zu kriegen. Richtig gutes Zeug, richtig gut. / Musst du mal ausprobieren, ausprobieren. Richtig gutes Zeug, richtig gut. / Scheint ganz gut zu sein. Da musst du richtig lange suchen für. Richtig lange recherchieren."

Im Video zu "Dinge" schließlich wird all das Zeug auf den Müll geworfen. Dazu noch Medienkritik in "Cliffhänger", Binge-Drinking in "1000 Jahre Bier" – und immer wieder Party ("Bude voll People"). Wahre Vernunft darf niemals siegen. (Christian Schachinger, 26.9.2019)