Die Wiener Künstlerin Ula Schneider wohnt mitsamt ohrenlosem Schaukelpferd am Brunnenmarkt. Genau hier hat sie vor 20 Jahren ihr urbanes Kunstprojekt "SOHO in Ottakring" ins Leben gerufen.
"Ich wollte immer schon am Brunnenmarkt wohnen und habe daher ganz gezielt nach einer Wohnung hier gesucht. Ich war dem Charme dieses Marktes mit seinen traditionellen Marmelade- und Sauerkrautständen und seinem bunten Gemüse, das in vielen Sprachen verkauft und verhandelt wurde, von Anfang an erlegen.

Es wundert mich eigentlich gar nicht, dass ich mich nach dieser Lebendigkeit gesehnt habe. Aufgewachsen bin ich in Washington, D.C., irgendwo in den Suburbs, wo es nur Hasen und Eichhörnchen im Garten gab, aber keine Menschen auf der Straße. Schon damals hat mir das Urbane gefehlt.
Gefunden habe ich die Wohnung 1996, indem ich gezielt einige Hausverwaltungen angeschrieben habe. Die Wohnung hat 89 Quadratmeter, und aus den Fenstern schaue ich direkt auf den Markt. Natürlich hat sich das Leben hier im Laufe der Zeit verändert. Viele kleine Geschäfte sind verschwunden, dafür gibt es nun Bars, Cafés, Restaurants. Die Autos wurden vom Platz verbannt, was einerseits ruhiger ist, dafür aber lockt der Brunnenmarkt heute mehr Menschen an als je zuvor. An manchen Abenden kann es richtig laut werden.

Erst kürzlich wurde der Yppenplatz von Time Out unter die 50 trendigsten Viertel der ganzen Welt gekürt. Ob das für den Ort jetzt gut oder schlecht ist, sei dahingestellt. Jedenfalls lebt das Viertel von seiner urbanen Atmosphäre und seiner positiven sozialen Kontrolle: Du bist nie allein, du musst dich nie fürchten, es sind immer irgendwelche Menschen auf der Straße. Es ist das pure Leben!
Das war natürlich nicht immer so. Als ich hergezogen bin, standen viele Geschäftslokale leer und schauten wie tote Augen auf die Stadt. 1999 hatte ich daher die Idee, die Leerstände als temporäre Ateliers und Galerien zu nutzen. Das war die Geburtsstunde von "SOHO in Ottakring".
Heute ist der Leerstand großteils verschwunden. Und ja, natürlich erfüllt es mich in gewisser Weise mit Freude und Stolz, dass ich dazu beigetragen habe – und mit mir all die Künstlerinnen und Künstler, die in all den Jahren teilgenommen haben. In manchen Jahren war es Knochenarbeit!

'SOHO in Ottakring' ist sicherlich mit ausschlaggebend dafür, dass es dem Brunnenviertel heute so gut geht. Vielleicht ein bisschen zu gut, denn mit dem urbanen Leben hat die Gentrifizierung Einzug gehalten. Die Preise sind in die Höhe geschossen. Viele ärmere Leute, aber auch kleinere Händler und Unternehmen können sich die Miete nicht mehr leisten. Ich fürchte, das ist der städtische Kreislauf.
Früher habe ich hier mit meinem Partner, meinen zwei Töchtern und meinem Sohn gewohnt. Die sind inzwischen alle ausgezogen. Heute kann ich das Wohnzimmer endlich als Wohnraum nutzen – und als Chronik meines bisherigen Lebens.
Eines meiner Lieblingsobjekte ist das Schaukelpferd, das meine Eltern vor langer Zeit im Dorotheum ersteigert haben. Damals war es noch ein bisschen mehr komplett, da hatte es noch Ohren. Andere Möbel sind Geschenke oder Zufallsfunde, die ich bei einem Tandler oder auf der Straße entdeckt habe. Außerdem habe ich ein paar Kunstwerke von befreundeten Künstlerinnen und Künstlern – von Martina Montecuccoli, Päivi Vähälä und Kenan Kiliç.

Ich glaube nicht, dass ich den Brunnenmarkt je verlassen werde, denn hier habe ich mir ganz aktiv – nach einer Entwurzelung in meiner Kindheit und Jugend – endlich eine Heimat geschaffen. Sie ist laut und bunt und schrill und hektisch und manchmal auch ein bisschen verrückt. Eine schönere Verwurzelung kann ich mir nicht vorstellen." (Protokoll: Wojciech Czaja, 30.9.2019)