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Diese Begegnung zweier Spezies wird in einen Erfahrungsaustausch münden – und nicht nur bei den beiden Beteiligten in der unteren Bildhälfte.
Foto: REUTERS/Arnd Wiegmann

Man spricht über uns. Und zwar nicht nur in unseren Kreisen – auch bei anderen Spezies kann uns unser Ruf vorauseilen.

In den vergangenen Jahren wurde bei verschiedenen Arten von Rabenvögeln festgestellt, dass diese einzelne Menschen gut voneinander unterscheiden können. Und sie behandeln sie nicht gleich, sondern stimmen ihr Verhalten darauf ab, welche Erfahrungen sie mit den jeweiligen Individuen gemacht haben. Doch nicht nur das: Sie geben ihre Erfahrungen auch an Artgenossen weiter – und diese verhalten sich dann gegenüber den betreffenden Menschen in gleicher Weise.

Die jüngste Beobachtung dieser Art betrifft eine der kleineren Vertreterinnen der Raben- und Krähenverwandtschaft, die Dohle (Coloeus monedula). Dohlen sind sehr soziale Tiere und verfügen über eine beachtliche Bandbreite an Lautäußerungen mit unterschiedlichen Bedeutungen. Dazu gehören Warnrufe ebenso wie Kontaktrufe, die keine Gefahr signalisieren – man könnte sie auch Grußlaute nennen.

Das Experiment

Forscher der University of Exeter haben sich Aufzeichnungen von Dohlenlauten für ein Experiment zunutze gemacht, von dem sie im Fachjournal "Royal Society Open Science" berichten. Sie besuchten drei Orte in Cornwall, an denen sich Nistboxen von Dohlen befanden – insgesamt 34 an der Zahl. Für ihren Versuch präsentierten sie den Dohlen Menschen, die sie noch nie gesehen hatten, und spielten dazu wahlweise Warnrufe oder Grußlaute ein. Ohne sich tatsächlich an den Nestern zu vergreifen, wurde also jedem Menschen gewissermaßen ein Stempel verpasst, ob gefährlich oder ungefährlich.

Der eigentliche Verhaltenstest erfolgte in Schritt 2 des Versuchs: Dann nämlich, wenn sich besagter Mensch wieder "ganz zufällig" in der Gegend herumtrieb – abseits der Nistboxen, aber im Sichtfeld der Dohlen. Die Reaktion war für Studienleiterin Victoria Lee eindeutig: Sahen die Dohlen einen als gefährlich gebrandmarkten Menschen, kehrten sie doppelt so schnell zu ihrem Nest zurück wie der Durchschnitt. Sahen sie einen "ungefährlichen", wähnten sie den Nachwuchs offenbar nicht bedroht und ließen sich entsprechend mehr Zeit.

Vertreterin einer zur Recht für ihre Intelligenz gerühmten Vogelfamilie: die Dohle.
Foto: Guill McIvor

"Wir sehen daran, dass Dohlen es lernen können, gefährliche Personen zu identifizieren, ohne selbst schlechte Erfahrungen mit ihnen gemacht zu haben", sagt Lee. Die Tiere verlassen sich dafür auf die Informationen von Artgenossen. In diesem Fall wurde dabei zwar mit Aufzeichnungen geschummelt – doch wie der Prozess in Wirklichkeit abläuft, hat man auch bereits beobachten können.

Die Gerüchteküche brodelt

Der bekannteste Fall diesbezüglich dürfte die Krähenpopulation auf dem Campus der University of Washington in Seattle sein. Dort führte der Forscher John Marzluff vor einigen Jahren zu Testzwecken Scheinangriffe auf Krähen durch und trug dabei eine Höhlenmenschenmaske. In der Folgezeit schimpften die Krähen wüst von den Bäumen herab auf ihn ein, wenn er maskiert war (respektive auf "Stunt-Doubles", die sich die Maske aufsetzten).

Erst waren es nur Tiere, die selbst Opfer von Angriffen geworden waren – aber schon bald auch unbehelligte Artgenossen. Und von denen mit der Zeit immer mehr: Im dritten Jahr nach dem Versuchsstart schmähten schon zwei Drittel der örtlichen Krähenpopulation den Maskenträger. Sein schlechter Ruf sprach sich nicht nur immer weiter in Krähenkreisen herum, die Tiere sind offensichtlich auch von der nachtragenden Sorte. Nach fünf Jahren, so Marzluff, konnte er mit Maske keine 50 Meter mehr gehen, ohne sofort von einer aufgebrachten Krähenschar verfolgt zu werden.

Solche präventive Aggression gegen einen potenziellen Gefährder gibt es bei verschiedenen Tiergruppen – Krähenvögel allerdings tun sich dabei besonders hervor. Der zoologische Fachausdruck dafür lautet im Englischen Mobbing und im Deutschen schlicht: Hassen.

Ein Überlebensvorteil

Victoria Lee verweist auf die große Herausforderung, die es für viele Tierarten bedeutet, Seite an Seite mit Menschen zu leben. Die zweibeinigen Nachbarn bringen Gefahren mit sich, aber auch Chancen: Immerhin gibt es auch Menschen, die Futter auslegen. Dass die generell für ihre Intelligenz bekannten Rabenvögel die Gabe zu differenzieren haben und ihre Erfahrungen mit Artgenossen teilen, sei somit ein echter Überlebensvorteil. (jdo, 1. 11. 2019)