Wenn man den Umfragen glaubt, wird es Sebastian Kurz sein, der in den Wochen nach der Wahl eine wichtige Entscheidung zu treffen hat: Soll die FPÖ wieder in die Regierung kommen? Für ihn mag das auf den ersten Blick verlockend klingen. Eine Partei, die sich der ÖVP geradezu aufdrängt, mit Plakaten im ganzen Land; eine Partei, die von Straches Spesen geschwächt und so am Verhandlungstisch willfährig ist; eine Partei, mit deren Positionen die ÖVP stark übereinstimmt und mit der sich das alte Regierungsprogramm bequem fortsetzen ließe, als sei nichts geschehen. Doch es wäre falsch. Hier daher eine Entscheidungshilfe für diesen wichtigen Beschluss für dieses Land:

(1) Wir wählen wegen Ibiza.
Weil Heinz-Christian Strache, später Kurz' Koalitionspartner, die Republik an eine vermeintliche Oligarchennichte verscherbeln wollte. Weil es im Gegenzug Zuwendungen an die Partei geben sollte. Weil die Orbanisierung der Medien geplant war, ein massiver Eingriff in die Pressefreiheit. Auch wenn sich Strache zurückgezogen hat und rein rechtlich nicht viel übrigbleibt: Aufgearbeitet hat die Partei das alles nicht.

(2) Straches Spesen spalten die Partei.
Die FPÖ hat ihre Wähler verraten. Sie gibt vor, die Partei der "kleinen Leute" zu sein, und dann soll ihr damaliger Parteivorsitzender mit einem üppigen Spesenkonto und über andere Wege zehntausende Euro für seine Lebensführung erhalten haben. Die Partei ist zerrissen, es tobt ein Machtkampf, mit einem potenziellen Ausschluss Straches droht die Spaltung. Kurz will Kontrolle, aber die FPÖ ist derzeit unkontrollierbar.

Beim ÖVP-Wahlkampfabschluss vor der ÖVP-Parteizentrale werden die letzten Wahlgoodies eingetütet.
Foto: APA/AFP/JOE KLAMAR

(3) Weitere Einzelfälle werden folgen.
Seit Regierungsantritt vor fast zwei Jahren dokumentiert DER STANDARD dutzende rechte "Ausrutscher" aller Parteien, die allermeisten davon kommen aus der FPÖ. Nazi-Postings, Rattengedicht, das rassistische Ali-Video – die sogenannten Einzelfälle passieren laufend. Auch jetzt, kurz vor der Wahl, kam der Vorschlag von Kärntens FPÖ-Chef, dass Häftlinge ihre Zelle "mit der Zahnbürste putzen" sollen, und die FPÖ-Stadträtin Ursula Stenzel trat bei einem Aufmarsch der rechtsextremen Identitären auf. Kurz gibt an, diese Einzelfälle hätten ihn "viel Kraft und Nerven gekostet". Sie werden weiter geschehen, die Partei hat sich nicht geändert.

(4) Kickl an der Zündschnur.
Zwar will der Bundespräsident Herbert Kickl als Innenminister nicht erneut angeloben. Doch auch als Klubchef im Parlament bleibt Kickl eine ständige Gefahr für eine Koalition. Klubchefs haben Rederecht im Ministerrat, über ihren Tisch gehen alle Gesetzesvorlagen. Wenn Kickl will, könnte er die Koalition jederzeit in die Luft jagen.

(5) Die FPÖ ist nicht regierungsfähig.
Sebastian Kurz hat es selbst gesagt – im STANDARD, kurz nach Ibiza: "Wenn ich der Meinung wäre, dass die Freiheitliche Partei regierungsfähig ist, hätte es keine Notwendigkeit gegeben, die Koalition zu beenden." Das gilt damals wie heute.

Auch den schwarzen Landeshauptleuten war es nach Ibiza genug. Seitdem ist zwar auch in der ÖVP einiges passiert – Festplatten-Schreddern, Spenden-Stückelung, Schulden-Enthüllung -, doch eines bleibt unverändert: Die Koalition mit der FPÖ war ein Fehler, Kurz hat die Regierungsfähigkeit der FPÖ überschätzt. Diesen Fehler kann er nun korrigieren.(Martin Kotynek, 28.9.2019)