Alfred Polgar, der große Stilkünstler der kleinen Form, hat in einem im Exil geschriebenen "Nachruf" auf das von Hitler einverleibte Österreich geschrieben: "Der Österreicher ist so deutsch, wie seine Donau blau ist."

Das war der Beitrag des Wiener Kaffeehausliteraten Polgar zum Thema "kulturelle Identität". Die österreichische Identität als Abgrenzung von der deutschen.

Polgar gehörte zu jenen großteils jüdischen Schriftstellern, Künstlern und Intellektuellen, die die österreichische Moderne zu Beginn des 20. Jahrhunderts prägten: Karl Kraus, Arthur Schnitzler, Franz Werfel, Gustav Mahler, Sigmund Freud, Arnold Schönberg, Karl Popper, Josef Roth etc., etc. Man würde sie wohl als unauslöschlichen Teil der österreichischen kulturellen Identität bezeichnen müssen, genauso wie die Herrgottsschnitzer und Trachtenträger im katholischen Alpenland.

Dieser Wahlkampf hat sich auch um den Begriff der Identität gedreht. Sebastian Kurz sagte mehrfach: "Unser Ziel ist es, die kulturelle Identität aufrechtzuerhalten." Drei Sätze weiter war er dann bei der Migration, die Österreich sehr verändert habe, weswegen es ein "wehrhafter Staat" sein müsse. Gemeint war natürlich die muslimische Migration. Die FPÖ sagt das Gleiche, nur dumpfer. Und eine Mehrheit der Österreicher ist wohl der Ansicht, dass sie ihre Identität verteidigen muss, auch gegen die Migration.

Der Wahlkampf der FPÖ und ÖVP drehte sich um den Begriff der Identität.
Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Der Begriff selbst ist problematisch. "Ein Mensch kann nur mit sich selbst identisch sein, und das besagt eben gar nichts: Ich bin ich", schrieb der Philosoph Konrad Paul Liessmann. "Und zu behaupten, ein Mensch wäre mit seiner Eigenschaft oder einem Merkmal identisch, also deckungsgleich mit diesem, ist offensichtlich ein Unsinn."

Zwangscharakter

Die Identitätsdebatte ist denn auch in Wahrheit eine über Herkunft, Zugehörigkeit, Selbstbild, Tradition usw. In einer großangelegten Studie sagten 87 Prozent der Befragten, "die Muslime" hätten sich an "unsere Kultur" anzupassen. Da ist was dran, auch und gerade vom liberalen Standpunkt aus. Das wichtigste Merkmal des Islam ist, dass er das ganze Leben, Politik inklusive, dominieren will. Im modernen Europa (in den USA viel weniger) hat sich aber die Gesellschaft von der Dominanz des Religiösen gelöst. Wenn dieser Zustand unter den Muslimen erreicht ist, schaut die Sache schon ganz anders aus. Oder, salopp formuliert, wenn den Muslimen die Religion so wurscht ist wie der Mehrheit der anderen Österreicher, dann haben sie sich angepasst.

Das Problem mit der Identitätsdebatte hierzulande und anderswo liegt an ihrem Zwangscharakter. Die Sprachforscherin und -erzieherin Elisabeth Schrattenholzer schreibt: "Wenn eine Autorität oder ein Individuum bestimmen darf, was gemeint ist mit Identität, werden alle anderen entmündigt." Sie meint weiter: "Gerne bewahre ich österreichische Traditionen, das österreichische Idiom etc. Aber im stetigen Wandel. Würde Kultur inhaltlich festgeschrieben und gäbe es das Bestreben, das 'aufrechtzuerhalten', so wäre jede Neuerung dann 'entartet', oder?"

Der Identitätsbegriff dient denen, die ihn verwenden, zur Abgrenzung von anderen. Aber auch Identität unterliegt einem Wandel. Solange man das weiß, kann man von Identität reden. (Hans Rauscher, 28.9.2019)