Der ehemalige Vizekanzler Erhard Busek (ÖVP) mahnt in seinem Gastkommentar ein, dass die Parteien nach den Wahlen zu den Dingen kommen sollen, die wirklich wichtig für Österreich sind.

Es ist zu hoffen, dass nicht nur von den Politik- und Medienwissenschaften, sondern überhaupt eine nüchterne Betrachtung des vergangenen Wahlkampfes eintritt. Was hier zu viel war, von Inhalt und Ton nicht angebracht und sicher nicht hilfreich für das Demokratiebewusstsein, muss dringend untersucht werden. Wir müssen daraus lernen.

Jetzt geht es darum, eine rationale Betrachtung einer Regierungsbildung im Hinblick auf die Zukunft unseres Landes einzumahnen. Das war bis jetzt nicht der Fall. Was sind die Chancen? Zunächst einmal eine Koalition zu bekommen, die nicht wieder durch irgendwelche Ereignisse frühzeitig in die Luft gesprengt wird.

Sprengmeister der FPÖ

Persönlich bin ich der Meinung, dass die FPÖ dafür nicht infrage kommt, weil sie sich auch von einigen Sprengmeistern wie Herrn Kickl nicht trennen kann und die gegenwärtig auftauchenden Storys (Strache, Ibiza etc.) sich nicht richtig voneinander trennen lassen. Auch ist die bisherige Erfahrung mit der FPÖ die, dass diese Selbstzerstörung immer wieder eintritt. Daher ist der erste Schritt zur Vernunft, dass einfach alle anderen Parteien untersuchen, wie sie zur Regierungsbildung beitragen können, denn eine Regierung muss es geben. Ständig zu sagen, mit Kurz nicht zu wollen, ist keine Lösung.

Für Türkis/Schwarz ist das einfach: Sebastian Kurz ist ein Kandidat für den Bundeskanzler, wobei er ein Interesse haben müsste, eine tragbare und haltbare Koalition zustande zu bringen. Die Möglichkeiten sind nicht sehr breit, müssen aber daher umso genauer untersucht werden. Eine Vorbedingung ist, dass Sebastian Kurz und die Seinen zunächst einmal alle Verwundungen, die der Wahlkampf mit sich gebracht hat, versuchen zu vergessen.

Nach dem Wahlkampf geht es nicht mehr um Stimmenmaximierung, sondern um das Schicksal Österreichs.
Cartoon: Felix Grütsch

Als "Altpolitiker" habe ich Verständnis dafür, dass den jungen Helden manches schmerzt, was ihm hier entgegengehalten wurde, wobei ich mit Interesse registriere, dass besonders die Damen an der Spitze am Schluss relativ aggressiv gewesen sind. Umso mehr empfehle ich Kurz, eine noble Haltung an den Tag zu legen und die streckenweise berechtigten Schmerzen zu verdrängen, um zu einem entsprechenden Ergebnis zu kommen ...

Zum Detail: Pamela Rendi-Wagner und der SPÖ ist dringend zu empfehlen, dass sie ihr Ziel, die FPÖ von der Regierung wegzuhalten, nur erreichen können, wenn sie bereit sind, mit Kurz aus der Weigerung zu lernen, in eine Koalition zu treten. Es ist sinnlos, zu verlangen, was alles von der früheren Regierung zurückgenommen werden müsste. Viel wichtiger wäre es zu sagen, was nun gelöst werden muss, denn alle diese Rücknahmeprojekte (Zwölfstundentag etc.) sind nicht entscheidend für die Zukunft dieses Landes.

Wir gehen möglicherweise auf eine kritischere Situation der Wirtschaft zu, und die Mahnung Frau Meinl-Reisingers hinsichtlich des Fehlens der Diskussion etwa zur Bildungspolitik muss unbedingt berücksichtigt werden. Die Sicherheitsfrage muss adäquat erledigt werden, wobei es viel wichtiger ist, die Frage der sozialen Integration in den Vordergrund zu stellen, was erst recht wieder nur über Bildung und nicht unbedingt durch mehr Polizei erreicht wird.

Reparatur des Justizwesens

Wir brauchen darüber hinaus ein normaleres Parteiengesetz und eine nüchterne Betrachtung der Finanzierung, denn gegenwärtig sind alle durch den Wettbewerb in radikalen Forderungen dabei, dem österreichischen Parteienwesen die Grundlage zu entziehen. Ohne entsprechende Spenden und öffentliche Finanzierung wird die Sache nicht funktionieren, wenn man nicht eine Garantie für den Zerfall der Parteien ausstellen möchte. Ebenso wird es notwendig sein, über das Wahlrecht nachzudenken. Der von Sebastian Kurz einmal geäußerte Weg zu einem Mehrheitswahlrecht muss bedacht werden, wenngleich ich mich keiner Illusion hingebe, dass es bald möglich wird.

Ebenso dringend geboten ist die Reparatur des Justizwesens, weil dessen Funktionsfähigkeit bereits seit längerer Zeit infrage gestellt ist. Korruptionsbekämpfung muss sein, wobei aber die zeitweise auftretende Hysterie einer rationalen Betrachtung der Fakten weichen müsste. Durch die üppig geäußerten Verdachtsmomente wird man wahrscheinlich in Zukunft relativ wenig junge Menschen finden, die bereit sind, sich in der Politik zu engagieren.

Vielleicht sollte dabei auch das Gehaltssystem von Politikern überdacht werden, sonst wäre es nicht notwendig, sich dauernd irgendwie Nebeneinnahmen zu verschaffen. Gleiches gilt etwa mit der Regelung für Politiker nach dem Ausscheiden. Die etwa von Wolfgang Schüssel seinerzeit verursachten radikalen Kürzungen gehen mit Sicherheit zu weit, weil dadurch ein System entsteht, das jedes Regierungsmitglied zwingt, nach profitablen Jobs nach der Regierung Ausschau zu halten (Russland Beschäftigungen, Beratungen etc.). Möglicherweise ist es vernünftiger, hier Geld zu investieren, um nicht zu anderen Erscheinungen zu kommen, die für das politische System noch schädlicher sind und eine ganz eigentümliche Abhängigkeit von Oligarchen in der Nachbarschaft erzeugt.

Als Lehre aus dem sehr bunten, aber problematischen Wahlkampf wäre auch eine gewisse Regelung der öffentlichen Diskussionen (Elefantenrunden) zu überlegen, wie die Notwendigkeit, die Wahlkampfkosten vernünftig zu regulieren. Vielleicht ließen sich Rahmen festlegen, wie viel Geld in welchem Bereich (Inserate, TV- und Radiowerbung etc.) investiert wird.

Medien-Gewissenserforschung

Dringend notwendig wäre aber eine Gewissenserforschung bei Medien und im weiteren Sinn auch der Kommunikationswissenschaften, ob die Art und Weise, den Wahlkampf von ihrer Seite durch Kommentare, Bewertungen, Untersuchungen usw. zu behandeln, die geeignete Form darstellt. Mir ist nicht klar, wo eigentlich die Politik- und Medienwissenschaften bleiben, denn ein kritischeres Wort wäre hier dringend notwendig!

Warum? Weil wir uns mit Sicherheit in einer Veränderung der Demokratie, nicht zuletzt durch Social Media, befinden, die wir in Wirklichkeit weder im Rechtsrahmen noch in der Art der Handhabung bewältigt haben. Ich hoffe auf eine vernünftige Diskussion, denn immer noch ist die Demokratie die beste aller Staatsformen. (Erhard Busek, 27.9.2019)