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Michael Blumlein darf man getrost als so etwas wie einen ewigen Geheimtipp bezeichnen. Für sein Werk allseits gewürdigt und seit den 80ern aktiv, hat der Kalifornier trotzdem nie zu größerer Prominenz gefunden. Allerdings hat er in den mehr als 30 Jahren seiner schriftstellerischen Laufbahn den Markt auch nicht gerade mit Titeln überflutet. Seine Romane kann man an den Fingern einer Hand abzählen (immerhin einer davon wurde einst von Heyne versuchsweise ins Deutsche übersetzt, "Das Bewegen der Berge"). Der Großteil seines Schaffens besteht jedoch aus Kurzgeschichten.

Blumleins jüngstes Werk ist zu Abwechslung mal wieder ein bisschen "Longer" – auch wenn sich der Roman mit seinen gut 200 Seiten in unserem Zeitalter der XXL-Formate immer noch eher wie eine Novelle ausnimmt. Das weitgehende Verharren an einem einzigen Ort tut ein Übriges, die Erzählung sehr kompakt wirken zu lassen.

Noch einmal jung?

Wir befinden uns im 22. Jahrhundert und kreisen auf "Gleem Galactic", der Orbitalstation eines Pharmakonzerns, um die Erde. Die Crew umfasst nur zwei Personen, das alte Ehepaar Cav und Gunjita. Die beiden sind seit 50 Jahren miteinander verheiratet – in diesem Leben, wohlgemerkt. Denn die Menschheit hat eine Verjüngungskur entwickelt, die den greisen Körper in ein jugendliches Stadium zurückversetzt. Das Problem: Diese Kur funktioniert nur zweimal, bei einem dritten Versuch würden die Zellen außer Kontrolle geraten. Und Gunjita hat die zweite Anwendung bereits vollzogen. Cav noch nicht.

Auch wenn die Liebe immer noch groß ist, wächst mit Cavs Zögern die Distanz zwischen den beiden. Und je länger wir lesen, desto mehr erkennen wir, dass die Entscheidung für oder gegen Verjüngung nur ein weiterer Ausdruck ihrer grundverschiedenen Charaktere ist: Gunjita, die Pragmatikerin, die ihr Forscherleben jederzeit unbegrenzt fortsetzen würde (More of the same suited her) und ihren wiedergewonnenen Elan genießt. Und Cav mit dem Kopf in den Wolken, ein wissenschaftlicher Querdenker, den die Wahrnehmung der Sterblichkeit ins Philosophieren bringt. Er ist sich sehr bewusst, dass Altern mehr als nur ein körperlicher Prozess ist: The pulling in of feelers, the gradual encapsulation, the cutting of ties, in preparation for the final, the ultimate separation.

Mögliches außerirdisches Leben

In diese prekäre Ausgangssituation bringt nun eine unerwartete Entdeckung Bewegung. Eine interplanetare Sonde kehrt mit einer Asteroidenprobe zurück, auf der sich etwas Seltsames befindet. Cav ist überzeugt davon, dass es sich um fremdartiges Leben handelt – die nüchterne Gunjita hingegen sieht in der Struktur, die sie an einen Kotzfleck erinnert, eine gänzlich uninteressante anorganische Ablagerung.

Obwohl "Longer" ganz auf die menschliche Seite fokussiert, ist es der Hard SF zuzurechnen (Michael Blumlein ist übrigens Mediziner). Wissenschaft wird darin mehrfach thematisiert, zunächst als Erkenntnisprozess. So stellen sich Cav und Gunjita die Frage, wie sie das Wesen des Ooi (object of interest) korrekt erfassen können, ohne dass Wunschvorstellungen und vorgefasste Konzepte ihre Wahrnehmung filtern. Über weite Strecken des Romans werden sie damit beschäftigt sein, geeignete Untersuchungsmethoden auszutüfteln.

Aber auch die moralischen Implikationen wissenschaftlicher Leistungen werden angesprochen: im Kontext der Debatte um Lebensverlängerung ebenso wie in Bezug auf die mysteriösen HUBIES, die im Text wiederholt angesprochen werden, bis uns der Autor endlich erlöst und erklärt, was es damit auf sich hat.

Ein bisschen Spaß muss sein

Blumlein mag es offenbar, Dinge anzudeuten und uns dann schmoren zu lassen. Immerhin wird fast alles dann doch noch aufgeklärt – nur den mehrfach erwähnten Hoax wollte er leider nicht weiter elaborieren. Man kann sich nur selbst zusammenreimen, dass irgendwann mal jemand der Weltöffentlichkeit eine außerirdische Invasion vorgegaukelt haben muss, wohl eine Art "Krieg der Welten 2.0". Also die Geschichte würde ich auch gerne lesen!

Seine verspielte Seite pflegt Blumlein diesmal vor allem in den Fußnoten, wo er einige seiner früheren Erzählungen in den Kontext von Fachliteratur stellt und so nebenbei neue Alliterationsrekorde aufstellt: From "Smells, Bells", a far reaching survey of scent, sensitivity, syntactical stressors, societal sensitization, subliminal sequestration, and so forth. Mein persönlicher Liebling ist allerdings der kosher Kurdish khan ...

Lyrisch ist auch der Haupttext, aber auf eine ganz andere, stille Art. "Longer" ähnelt in seinem Wesen eher einer Kurzgeschichte als einem Roman, es definiert sich stärker über das vermittelte Gefühl als über den Plot. Dies ist keine Science Fiction, die von J. J. Abrams verfilmt würde. Im Kern steht eine Frage, auf die sowohl die Untersuchung des Ooi als auch Cavs anstehende Entscheidung über eine weitere Verjüngung hinauslaufen: Was macht Leben aus?